775. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Bundeskanzlerin Merkel hat bei der Auswahl der CDU-Minister Wert darauf gelegt, dass diese sämtlich jünger sind als sie. Sie hat betont, allein sie selbst sei über sechzig. Im alten Griechenland waren die Geronten, die Greise, zuständig für die Beratung des Königs und für das Recht, weil sie die Lebenserfahrung einbrachten. Erst in der jüngsten Vergangenheit hat eine – problematische – Umkehrung der Bedeutung der Altersgruppen stattgefunden. Nur eingerissen, weil die Jungen und Jüngsten in der Handhabung modernster Techniken den Alten soviel voraushaben, dass jeder nicht mehr junge Mensch alt aussieht. Die so schnell wechselnden Techniken machen die einen alt, die anderen aber nicht klug und weise und lebenserfahren.

 

Spiegel online brachte ein Video, in dem ein Tiger und eine Bärin an einer Wasserstelle in einem Kampf um Leben und Tod zu sehen waren. Toll, genau so ein Massenvergnügen wie im alten Rom, nur sitzt man zuhause bequemer als im Kolosseum.

 

Jetzt hörte ich von einem internationalen Verband der Exorzisten. Der klagt über Nachwuchsmangel. Dabei werde immer öfter um eine Teufelsaustreibung gebeten, aber immer weniger Priester seien dazu bereit. Teufel auch, das ist des Landes nicht der Brauch. Bedeutet das doch, dass die Priester ihr Gerede über den Teufel so überzeugend unters Volk gebracht haben, dass immer mehr meiner Zeitgenossen an den Satan glauben, also zurück ins Mittelalter flüchten, während viele Priester schon darüber hinweg und in der Antike angekommen sind, wo es um verteufelt schöne Knaben ging.

 

Schauspieler galten viele Jahrhunderte lang neben Henkern und Abdeckern und Prostituierten als Menschen zweiter Klasse, mit denen man nicht verkehrte. Heute ist alles verkehrt: Wir Nichtschauspieler sind Menschen zweiter Klasse gegenüber den Schauspielern, von denen jede Äußerung, und sei sie noch so dumm, prompt in den Medien erscheint. Und man hievt die Mimen in die höchsten Ämter. Sie können ja jede Rolle spielen, die des Philosophen so gut wie die des Staatspräsidenten, – aber eben nur spielen.

 

Vor Jahren habe ich mich über die noch sehr naturverbundenen Isländer gewundert, weil die so gut wie nie die Nase schnäuzen. Und mich wundert schon lange, dass ich in Apotheken bei jedem Kauf ein Päckchen Papiertaschentücher geschenkt bekomme. Erst allmählich bin ich dahinter gekommen, dass es falsch ist, nach jedem Niesen oder auch sonst, wenn die Nase voller Wasser ist, sie sofort trocken zu machen. Der Körper macht sie ja nicht aus Jux nass. Als ich dann irgendwo den Begriff Kampfwasser las, verstand ich, dass man die Nase möglichst lange nass lassen sollte, damit das Wasser die Keime auf den Schleimhäuten töten kann. Damit erspart man sich die wochenlangen Moläste einer Erkältung.

 

Nicht zu übersehen: In immer mehr Ländern schaffen es Politiker, sich zu Quasi-Alleinherrschern aufzubauen. Ob man auf die USA sieht, auf Russland oder auf China, auf Venezuela, die Türkei, die Philippinen oder Ungarn, von etlichen afrikanischen Staaten ganz abgesehen. Das uns heilige Prinzip der Demokratie wird mehr oder weniger ausgehöhlt und bleibt als bloße Fassade stehen. Nicht zu übersehen ist auch, dass dieser Vorgang weltweit parallel läuft mit der Entwicklung von informationstechnisch immer raffinierteren Systemen der Profil- und Meinungsforschung sowie der klammheimlichen  Massenmanipulation und Desinformation. Im Zangengriff dieser beiden Entartungen – Alleinherrschaft und Manipulation – steckt die Demokratie in ihrer wohl schwersten Krise.

 

Alte Kultur-Institute von Rang kämpfen ums Überleben. Nicht alle sind so gut dran wie die Augsburger Puppenkiste, die kürzlich ihr 70-jähriges Bestehen feiern konnte und mit jährlich rund 420 Aufführungen ein schönes Ergebnis aufweisen kann. Das Millowitsch-Theater in Köln muss – auch weil ein Nachfolger für den legendären Willy Millowitsch fehlt – nach der letzten Vorstellung am 25. März schließen. Nach 81 Jahren. Der Deutsche Kulturrat setzt solche von der Schließung bedrohte Objekte auf eine „Rote Liste“. Auf der stehen schon die Gemeindebücherei Leseinsel Waldbronn und das Luna-Filmtheater Metzingen. Also nix wie hin!

 

Zahlen hinterlassen wir wie Kaninchen Küttel. Unsere Zustimmung wird gezählt mit Likes oder Followers, unsere Zugriffe und Besuche addieren sich als Hits und Visits. Wenn wir fernsehen, machen wir Quote, mit jedem Einkauf verändern wir den Zufriedenheitsquotienten. Und immer noch treiben wir mit der Liebe den Vermehrungsindex hoch. Was wir auch tun oder lassen, wir sind der Prozentsatz von etwas, an das wir dabei nicht gedacht haben. Und dass wir dabei sind, mit der totalen Digitalisierung das letzte Quäntchen Freiheit zu verlieren, daran zu denken haben wir überm permanenten Kütteln keine Zeit.

 

Mein Buch zum Internationalen Frauentag am 8. März: „Die Sünderin. Wien 1683“. Jetzt hörte ich von einer Leserin, dass sie das Buch nach sechs Seiten wütend zugeschlagen und weggelegt hat. Verständlich. Denn eine so mitfühlende Schilderung von frommer Selbstpeinigung, die sich in religiöse Ekstase hineinsteigert, hat man noch nicht gelesen. Und derartig unkontrollierte Verzückung ist immer peinlich. Schade nur, dass diese Leserin so nicht mitbekommt, dass es sich dabei um die uralte Judith-Geschichte aus der Bibel handelt, in der die weibliche Hingabebereitschaft über die Brutalität der Männerwelt siegt. Ich lese daraus auf der Leipziger Buchmesse am Freitag, dem 16. März, 14.00 bis 14.30 Uhr in Halle 4, B 600 (Literaturcafé).

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