766. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Jeder zweite Deutsche gibt offen zu, in Finanzfragen keine Ahnung zu haben, so lese ich in der Zeitung. Woher denn auch sollte er seine Kenntnisse haben? Während er mit dem Gerundivum gefüttert wurde und mit Stabreim und den diversen Punischen Kriegen, hat ihm die Schule über das Finanzwesen nichts beigebracht, auch nichts beibringen können, weil die Lehrer selbst über Geld nichts wissen. Das hat man den Bankleuten überlassen, denen man blind vertraute. Wohin uns das geführt hat, weiß man ja seit dem Desaster von 2008.

 

In den USA stellt man mit Erschrecken fest, dass die gesamte Gesellschaft mit Drogen der verschiedensten Art verseucht ist. Und man fragt sich, ob das Leben als Amerikaner wirklich nicht mehr ohne Drogen auszuhalten ist. Dazu gehört eine schonungslose Selbsterforschung. Die führt zu der Erkenntnis: Die amerikanische Gesellschaft ist zutiefst lebensfeindlich. Darauf weisen nicht nur die vielen Fliegenpatschen hin, die in jedem Haushalt herumliegen. Das zeigt auch der intensive, allgemeine Schusswaffengebrauch. Und das zeigt die in vielen Bundesstaaten erneuerte Selbstverständlichkeit der Todesstrafe. Nicht zuletzt ist entlarvend, dass in den USA in Wort und Bild alles ausführlich gebracht werden darf, was Leben beschädigt und vernichtet, während alles, was mit dem Zeugen und Entstehen von Leben zu tun hat, absolut tabu ist und unterdrückt wird, bis hin zu dem Nippelchen am mütterlichen Busen.

 

Für einige Aufregung in der Presse sorgte jetzt, dass Burundi aus dem Vertrag der 124 Staaten, die den seit dem 1. Juli 2002 tätigen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag tragen, ausgeschieden ist. Dabei wurde meist vergessen hinzuzufügen, dass so wichtige Länder wie China, Indien, USA, Russland, Türkei und Israel diese Gerichtsbarkeit bisher überhaupt noch nicht anerkennen, aus Angst, es könnten ihre im Ausland tätigen Staatsangehörigen, z. B. ihre Soldaten, von Richtern verurteilt werden, die man nicht selbst eingesetzt und unter Aufsicht hat.

 

Ich staune über eine Schuluntersuchung, die herausfand: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Art der Anrede, die Grundschüler benutzen gegenüber ihren Lehrerinnen und den paar Lehrern, die es noch gibt, und der Lernleistung der Kinder. Wo das Sie üblich ist, gibt es eine höhere Lernerfolgsquote als in den Du-Schulen. Das heißt, dass mehr Distanz nicht nur für mehr Achtung steht, heute in den Schulen bekanntlich nötiger denn je, sondern auch für mehr Bereitschaft, von der Lehrkraft zu lernen.

 

Weil ich sein Leidensgenosse bin, zitiere ich ohne Erlaubnis aus dem „Notruf“ eines unserer bedeutendsten Literaten, Hans Magnus Enzensberger, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 3. 11. 2017 veröffentlicht hat: „Die Terroristen, von denen ich mich bedroht fühle, sitzen im Finanzamt. Sie leben in einem Obrigkeitsstaat, dem die Demokratie fremd ist. Der Fiskus ist die einzige Institution, welche die Bürger zur Zwangsarbeit verurteilt. Viele Tage und Wochen sind die damit beschäftigt, ‚Belege’ zu sammeln und ungezogene Schreiben zu sortieren, in Ordner zu heften und aufzubewahren. Ohne Steuerberater, die sie gegen Übergriffe verteidigen, kommt niemand aus, der mit der Einkommenssteuer ‚veranlagt’ wird, der ihr ‚unterliegt’, ein Sprachgebrauch, der anzeigt, dass der Bürger als Untertan betrachtet wird. Schon den Ausdruck Freie Berufe empfinden Beamte als Provokation. Menschen ohne festes Gehalt und ohne Pensionsberechtigung kann der Fiskus nicht begreifen …“

 

Im krassen Unterschied zur Herrenmode mit ihrer langweilig gleichförmigen Unansehnlichkeit ist die Damenmode spätestens seit der Zeit der kretisch-minoischen Kultur stets ein raffiniertes Präsentieren von teilweiser Nacktheit. In der Presse heißt das: Die Frau arbeitet mit viel Körpereinsatz. Feiner ausgedrückt ist das weiblicher Sex Appeal. Erlaubt sich ein Mann daraufhin eine Bemerkung oder Berührung, wird das als sexistische Attacke gewertet und bestraft. Und sein Hinweis, es habe sich nur um eine Antwort auf eine Einladung gehandelt, wird als unverschämt verworfen. Als Ausweg aus dieser Zwickmühle aber nun die totale Verhüllung der Frau zu fordern, wie Islamisten es tun, das möchte ich mir nun doch nicht antun.

 

Der Islam als Religion ist nicht schlechter als das Christentum. Doch hatten in den christlichen Ländern Aufklärung und moderne Naturwissenschaften genau wie der allgemeine Wohlstand dafür gesorgt, dass die christliche Lehre nur noch als schmückende Bordüre des Lebens und als Trost wahrgenommen und damit erträglich geworden war. Umso verständlicher das Erschrecken darüber, dass jetzt in den frei gewordenen Glaubensraum mit dem Islam eine Religion eindringt, die mehr verlangt, weil sie weitgehend von Fundamentalisten getragen wird. Mit der gewaltsamen internen Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten erinnert sie uns an die ähnliche Situation im Christentum vor vierhundert Jahren, als Katholiken und Protestanten sich so ernst nahmen, dass sie sich gegenseitig ausrotten wollten.

 

In der Nacht zum 1. November notiert: Da, drüben, in Rheinland-Pfalz, gingen gerade die Lichter aus. Also 24 Uhr. Oder Null Uhr? Eine nicht zu klärende Frage. Jedenfalls der Augenblick mit der härtesten Konsequenz, nämlich das Ende des nie mehr wiederkehrenden alten Tages und der Anfang eines noch nicht überschaubaren neuen Tages. Ich sehe bloß von meinem Schreibtisch aus die dunkel gewordene andere Rheinseite, deshalb weiß ich: Jetzt ist er da, der November. Nun also die Trauer-Nebel-Regen-Brrr-Zeit. Mit Allerseelen, Allerheiligen, Totensonntag, Halloween und all solchem Gruselzeugs. Also die Hosenbeine aufkrempeln und hindurchwaten!

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Weil ich immer wieder danach gefragt werde: Mein erfolgreichstes Buch ist „Ritter, Tod und Teufel“, der Roman des 15. Jahrhunderts, Verlag Langen Müller, München 1992 und zweimal als Bastei-Lübbe-Taschenbuch, 1995 sowie 1997. Mein wichtigstes Buch ist der „Ratgeber für Egoisten“, meine satirisch servierte Lebensphilosophie, Verlag Rasch und Röhring, Hamburg 1987. Und mein Lieblingsbuch heißt „Hohe Zeit“. Das ist der Roman eines Reiseleiters, Salon Literatur Verlag, München 2017. Umwerfend komisch und beispiellos fesselnd, weil ein einziges rücksichtslos-ehrliches Hose-Runter.

Hohe Zeit Cover

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