738. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Ob in Nahost oder im Sudan, ob in Nordirland oder Indonesien, zwischen den Anhängern verschiedener Religionen herrscht Streit. Überall führen die Überzeugungen von religiösen Menschen zu Mord und Totschlag, weil die Religiösen zu wissen glauben, was gut und richtig ist. Dieser Zusammenhang ist inzwischen unübersehbar, und doch fördern wir in Deutschland die Religionen, indem wir ihre Aktivität mit Steuergeldern unterstützen und sie in staatlichen Universitäten und Schulen wachsenden Einfluss gewinnen lassen.

Unsere amerikanische Nachbarin Judy erklärte ihre Schwierigkeiten mit den Artikeln der deutschen Sprache so: „Richtig ist: Das macht die Gewohnheit, aber auch: Die Macht der Gewohnheit. So what?“ Gesprochen klingt das wirklich nach Widersinn. Da zeigt sich, wie wichtig die Rechtschreibung ist, vor allem auch die Groß- und Kleinschreibung.

Der Prozentsatz der Menschen in Deutschland, die es für ratsam halten, sich mit der Äußerung politischer Ansichten vorsichtig zurückzuhalten, ist von 15 % auf fast 30 % der Befragten des John-Stuart-Mill-Instituts in Heidelberg angewachsen, lese ich in der Süddeutschen Zeitung. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Repression bei uns nicht vom Staat ausgeht, sondern von gesellschaftlichen Gruppierungen, die bestimmte Begriffe mit einem Tabu belegt haben, andere mit dem Fluch rassistisch oder nazistisch oder sexistisch. Dazu kann ich nur sagen: Wer sich nicht darum kümmert und beispielsweise von Zigeunern spricht, wie die Zigeuner selbst es tun, oder den wertneutralen Begriff Neger benutzt, der nicht mit dem Schimpfwort Nigger zu verwechseln ist, der hilft, die anmaßenden Wortkommissare dahin zu stellen, wo sie hingehören – vom Platz.

Freund Thomas hat in einem Drogeriemarkt gesehen: Die Kassiererin trug an ihrer Bekleidung die Bezeichnung „Lernling“. Leider hatte er keine Zeit, den Chefling darauf anzusprechen, so blieb er ein unaufgeklärter Kundling.

In unseren Städten müssen Buchhandlungen immer öfter neuen Klamotten-, Schuh- oder Brillenläden weichen, in den Kleingartenanlagen sieht man immer mehr kurzgeschorene Rasenflächen, und auf dem Land machen sich überall diese  Benzinersatzfelder breit. Unsere Umgebung zeigt, wie wir uns verändert haben: Veräußerlicht, langweilig, aber mobil.

Habe jahrzehntealte Post durchgesehen. Dabei wurde mir klar: Liebeserklärungen sollten immer zwei Daten tragen, das Produktionsdatum und das Verfallsdatum. Sonst erschrecken sie einen irgendwann wie Blindgängerfunde.

Im Görlitzer Kartoffelhaus, wo es die leckersten Bratkartoffeln gibt, sind die Borde über den Köpfen der Gäste – zum Zwecke der Erzeugung von Gemütlichkeit – vollgestellt mit altem Kram wie Blechkanne, Waschbrett, Aktentasche, Brotmaschine oder Bierkrug. Dazwischen ein Buch mit dem Titel „Kleines Politisches Wörterbuch“. In Ganzleinen gebunden, 1973 im Ostberliner Dietz-Verlag erschienen. Alter Krempel zwischen altem Krempel, eine eindeutige politische Aussage.

Die Bundesstraße Nr. 101 von Meißen nach Dresden begeistert – und weckt bei mir Neid. So schön glatte Straßen hätten wir am Rhein auch gerne. Ich muss mich dazu überreden: Dieser Luxus ist den Nachbarn zu gönnen. Sie haben ja nicht vergessen, wie schrecklich es vorher war. Gleich hinter Meißen, am Anfang der Superstraße, habe ich vorhin das Warnschild „Straßenschäden“ gesehen. Das dort stehen zu lassen, das ist wahre Nostalgie.

Bei Jena gibt es das Teufelstal. Eine besondere Verlockung zum Umzug ins Jenaische. Wenn ich mir nur vorstelle, wie toll es wäre, wenn meine Verleger auf alle Bücher von mir, die sie auf den Markt bringen, schreiben könnten: Der Autor ist im Teufelstal zuhause. Schreck verkauft sich doch gut.

 

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