710. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Aus den USA mal wieder eine Nachricht, die schon fast keine mehr ist, weil sowas zu oft kommt: Der verurteilte Mörder R. Nunley ist nach 25 Jahren Haft in der Todeszelle hingerichtet worden. Für uns zivilisierte Europäer wirft das die Frage auf: Darf man dem Mann zur Beendigung der überlangen Haft unter erschwerten Bedingungen gratulieren oder darf man den Kopf schütteln über die skrupellose Selbstverständlichkeit, mit der die Amerikaner Doppelbestrafungen vornehmen: Lebenslänglich plus Hinrichtung?

 

Eine neue Abstimmung mit den Füßen. Wer wissen will, welche europäische Regierung gut regiert hat, braucht sich nur anzusehen, wohin die Flüchtlinge streben: Nach Deutschland, Schweden und Österreich. Für etliche Regierungen in anderen europäischen Ländern ist das ein klares Misstrauensvotum.

 

Ich frage einen Fußball-Enthusiasten nach dem anderen, ob bei den Transfers von Spielern, bei denen zig Millionen Euro hin- und hergeschoben werden, auch Steuern gezahlt werden. Aber keine Antwort, weil niemand auf diese Frage gekommen ist. Ist ja auch ungewöhnlich, weil es sich bei den Ablösesummen nicht um Kaufpreise handelt – Menschenhandel ist bei uns verboten.

 

Das neue Perpetuum mobile. Deutschland ist der drittgrößte Waffenlieferant der Welt. So sorgen wir dafür, dass die Ströme von Flüchtlingen, die wir mit glänzenden Augen willkommen heißen, nicht so bald versiegen.

 

Trotz der täglichen Überflutung mit Berichten und Bildern der Flüchtlingsmassen stehen wir da wie beim Blick übers Meer. Wir sehen nur die kabbelige Oberfläche. Dabei wissen wir, dass sich unter dem Wasserspiegel die grässlichsten Gewalttaten ereignen, die wir aber selbst als Taucher nur selten beobachten können.

 

Jetzt muss ich doch tatsächlich sogar dem Dalai Lama zustimmen und gratulieren, weil er gesagt hat: „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.“ Recht so. Moralische Grundprinzipien, und die haben wir Menschen dringend nötig, hat die Philosophie schon vor den heute gängigen Religionen propagiert, und das ohne die gewalttätige Besserwisserei der Religiösen.

 

Wenn Johann Wolfgang von Goethe bzw. Yāohàn·Wòěrfūgāng·féng·Gēdé das noch mitgekriegt hätte. Wir Deutschen exportieren nicht nur Autos und Maschinen und dergleichen Kram nach China, sondern auch Geist. Schon lange steht der Weimarer Dichterfürst überlebensgroß in Bronze zusammen mit seinem Freund und Kollegen Friedrich von Schiller in einem Vorort von Shanghai. Jetzt aber wird sein Gesamtwerk von neunzig ausgewählten Germanistik-Fachleuten aus ganz China ins moderne Chinesisch übersetzt. Das auf der deutschen Gesamtausgabe in 45 Bänden basierende Mammutwerk, das in zehn Jahren vollendet sein soll, hält man in China für notwendig, weil der bisher nur aus wenigen Einzelausgaben bekannte Goethe der bedeutendste Autor Deutschlands war und daneben auch noch Naturwissenschaftler und überhaupt ein weiser politischer Mensch.

 

Habe mich einmal zur konkreten Poesie hinreißen lassen. Dabei kam sowas heraus:

DIESR TXT IST NICHT AUS ZLS TRAUM, ABR AUCH NICHT BLOSS EIN

KALAUR, SONDERN STTIK. KEIN 2FEL: ICH BIN WEDR VL NOCH 3ST.

ABR ICH SPIELE MIT DEN LBOGEN KLA4. DESHALB GIB 8, DU BLÖDE Q.,

SONST GIBT’S RGR, DNN JETZT KOMMT DR HMMR DES PGASUS: ÜN

BONN ID: WIR WOLLN BRLIN NICHT BRDIGEN! WIR SIND JA KEINE

6TANR. DARÜBR SIND WIR RHBN. WIR MACHN LITRATUR.

 

Wir sind stolz auf die Aufklärung, die uns geistig weitergebracht und einen großen Vorsprung vor dem arabischen Raum verschafft hat. Aber die sich sonst betont liberal gebende Stadt Konstanz feiert das 600-Jährige des großen Kirchenkonzils mit Pomp und einem bunten Internetauftritt. Da wird sogar die Literatur zum Konzil aufgeführt. Dabei ist man jedoch so peinlich kirchenhörig, dass alle kritischen Stimmen totgeschwiegen werden. So auch mein im vorigen Jahr erschienenes Buch „Der Papst im Kerker“, das den Mantel anhebt, der über die mit dem Konzil zusammenhängenden Verbrechen gedeckt wurde. Wir sind zwar stolz auf die Aufklärung, bleiben aber dem dunkelsten Mittelalter treu.

 

 

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