677. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Pfingsten erinnert daran, dass dereinst vom Himmel Geist über den Köpfen ausgegossen wurde. Angeblich. Dafür bekamen wir die zwei Pfingstfeiertage, an denen vor allem Krimis und Fußballgequatsche über unseren Köpfen ausgegossen wurden.

Die Installation eines Präsidenten der Europäischen Kommission wird uns als Dublette der mittelalterlichen Kürung eines deutschen Kaisers vorgeführt, nur dass es damals noch kein länderübergreifendes Parlament gab. Doch stehen die Regierungschefs der EU-Länder für die Kurfürsten, die unter der Qual der Wahl litten. Sie bemühen sich nach uraltem Vorbild darum, unter sich den schwächsten Kandidaten auszugucken und diesen auf den Thron zu hieven. Im aktuellen Fall einigen sich die Wahlherren wohl auf den nur scheinbar vom Volk gewählten Kandidaten, einen großen Politiker, aber aus einem der kleinsten EU-Länder kommend, nämlich Luxemburg. Von dort war vor genau 600 Jahren auch Kaiser Sigismund gekommen.

Das weltweit bekannteste Dogma des Fußballwahns heißt: Der Ball ist rund. Doch hat das jetzt ein Enkel des Herrn Blatter als „Scheiße“ abgetan. Der kleine Blatter fand seinen Ball nicht rund wie ein auf die Straße gemalter Kreis, sondern kugelförmig wie ein übergroßer Pferdeapfel. Genialität, offenbar im Erbgut liegend.

Die Wirtschaftswissenschaftler laufen bis heute mit Scheuklappen durch die Welt. Für sie ist das Grundstreben des Menschen auf Geld ausgerichtet. Basta. Daneben gibt es nichts. Nicht einmal das Machtstreben kommt in ihren Überlegungen und Handlungsmodellen vor. Und auch der Genuss oder das Glück, von dem Forscher Hermann Heinrich Gossen als Ziel des menschlichen Handelns berechnet, spielt für sie keine Rolle, dabei haben sie Gossen als einen ihrer Urväter vereinnahmt. Kein Wunder, dass die Wirtschaftswissenschaften deshalb zunächst nicht zu den Arbeitsgebieten gehörten, die mit Nobelpreisen belohnt werden, sondern erst mit 68 Jahren Verspätung in diesen Rang erhoben wurden – immer noch zu früh.

Heute begeistern Literaturkritiker sich vor allem für Debütwerke, also für das, was junge Menschen niedergeschrieben haben, die nicht viel zu sagen haben, weil sie noch nicht viel erleben, sich anlesen und durchdenken konnten. Dabei zeigt sich die wahre Überlegenheit der Autoren oft in ihrem letzten Roman. So in Thomas Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, in Hermann Hesses Roman „Das Glasperlenspiel“ und in Heinrich Bölls Roman „Frauen vor Flusslandschaft“, um nur diese drei Nobelpreisträger zu nennen. Jeweils ein Roman, der sich als Schlussapotheose schon in der Machart deutlich von dem vorhergehenden Gesamtwerk abhebt. Aber als Kritiker solch eine Quintessenz eines langen Autorenlebens zu würdigen, ist natürlich weitaus schwieriger als einen Debütroman zu bejubeln. Also genießen wir Leser weiterhin ein Debüt nach dem anderen.

Da und dort und überall Nora’s Nähstübchen statt der korrekten Schreibweise: Noras Nähstübchen. Der verdammte angelsächsische Genitiv – die einen bringt er zum Lachen, weil sie unter dem Begriff Genitiv etwas verstehen, das mit Geschlechtsverkehr zu tun hat, die anderen machen sich lustig über die dummen Leute, die Wörter im Genitiv so umständlich mit Hochkomma oder Deppenapostroph schreiben, und wieder andere verzweifeln, weil sie den Eindruck haben, die Ausbreitung des angelsächsischen Genitivs im Deutschen sei nicht mehr zu stoppen. Da ist es beruhigend zu erfahren, dass sich in England Sprachschützer über die neue Unsitte aufregen, die Straßennamen Großbritanniens immer öfter ohne Genitiv-Apostroph zu schreiben, also Kings Road statt King’s Road, weil derart verschlankte Straßenschilder für die rechnergestützte Navigation besser zu verarbeiten sind.

In Japan, wo jetzt auch schon der Vegan-Wahn um sich greift und Walfleisch nicht mehr so begehrt ist wie früher, gibt es Überlegungen, die Flotte von großen Walfang- und Verarbeitungsschiffen für eine neue Verwendung umzurüsten. Was lockt, das sind die riesigen, oft ländergroßen Inseln von Plastikabfällen, die auf allen Ozeanen schwimmen. Ein Rohstoffvorrat, der herrenlos und leicht einzufangen ist.

Heftig bedrängt, ins Altenheim zu gehen, es ging ja wirklich nicht mehr mit der Selbstversorgung, und kaum weg, da wurde das Leben, wie es sich in der Wohnung abgelagert hatte, mit dem altvertrauten Mobiliar voller Erinnerungsstücke und den Büchern schon zu Lebzeiten zerschlagen, zu Sperrmüll erklärt und von vielen fremden Händen gefleddert. Vivisektion am lebenden Modell. Unvermeidlich, ja, aber doch hart.

Die Erinnerungsarbeit zum Hundertsten des Beginns des Ersten Weltkriegs hat viele Gesichter. Eine Umfrage unter Radiohörern und Internetnutzern in sieben europäischen Ländern und Kanada, ob sie bereit wären, ihr Leben fürs Vaterland zu opfern, ergab: Nur zwanzig Prozent der Teilnehmer würden notfalls ihr Leben für ihr Land riskieren. Dabei machte allein Polen eine Ausnahme, wo fünfzig Prozent der Befragten zu diesem Opfer bereit waren; was vor dem Hintergrund der polnischen Teilungen in der jüngeren Vergangenheit verständlich ist. Als das, was ihnen das Opfer des Lebens wert wäre, gaben fast überall die meisten Befragten ihre eigene Familie an. An zweiter Stelle wurden Ideale wie Freiheit, Frieden und Solidarität genannt. Für ihre Religion aber wollten, wiederum mit Ausnahme Polens, die Teilnehmer nirgends ihre Leben hingeben. Wie repräsentativ diese nur unter Nutzern bestimmter Medien gehaltene Umfrage für die gesamte Bevölkerung der betroffenen Länder ist, das ist wohl keine Frage: Überhaupt nicht.

 

 

 

 

 

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