671. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Mehr als zwanzig Jahre lang konnten wir unsere Geldgeschenke und Lebensmittelspenden zu Neujahr den Freunden und den Armen in Simferopol aushändigen. In diesem Jahr nicht. So sehr man sich mit den Menschen auf der Krim verbunden gefühlt hat, während all der Jahre seit der Gründung einer Städtepartnerschaft zwischen Heidelberg und Simferopol, es war doch immer dieses Unerklärliche: Wieso finden die Menschen der Krim, so sympathisch und so ähnlich sie uns sind, keine Spitzenpolitiker, die ihnen endlich die Tür zu besseren Lebensverhältnissen öffnen? Was ich in meinem Bericht „Krim Intim“ an ehrlichem Bemühen der Menschen zeigen konnte, das blieb und bleibt so ergebnislos, weil der Kleine Mann in einem System des rücksichtslosesten Staatskapitalismus feststeckte, als ein missachtetes Teilchen einer bloßen Verfügungsmasse. Zwar wird ihnen jetzt neues Geld und die Anhebung des Lebensstandards versprochen. Doch die strategischen und geopolitischen Ziele Putins haben nichts mit den Menschen zu tun.

Nein, wir Heutigen werden nicht besser, aber wir werden wenigstens immer komplizierter. Hatten unsere Eltern noch ein Geschlecht, so haben wir neuerdings eine oder mehrere sexuelle Orientierungen. Schon lange leben keine Ausländer oder Eingewanderten mehr unter uns, sondern Menschen mit diesem oder jenem Migrationshintergrund. Und nun gibt es vom Berliner Abgeordnetenhaus den Verbesserungsvorschlag, im Grundgesetz sollte nicht mehr von Benachteiligung oder Bevorzugung eines Menschen wegen seiner Rasse die Rede sein. Stattdessen bieten Gutmenschen in der Diskussion an, von der genetischen Beschaffenheit eines Menschen zu sprechen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, mit meiner heterosexuellen Orientierung und ohne jeden Migrationshintergrund als ein Exemplar von der genetischen Beschaffenheit, die in Deutschland vermutlich Normal-Null heißt. Mein Personalausweis und mein Reisepass, die sich mit Nationalität, Augenfarbe, Fingerabdruck und Unterschrift begnügen, werden mir immer fremder.

Absurd ist, wenn einer von den großen amerikanischen Datenstaubsaugern, nämlich Facebook, mich fragt, wo ich zur Schule gegangen sei, und gleich vermutet: Ein Gymnasium in Neustadt oder ein Gymnasium in Heidelberg, aber auch noch fragt: Andere Hochschule? Ich finde, wer so saudumme Fragen stellt, verdient keine Antwort.

Als einen besonders erbärmlichen Bahnhof habe ich den gigantisch wirkenden Fernbahnhof im Flughafen Frankfurt erlebt. Um 22.30 Uhr machen die wenigen Etablissements zu, in denen man windgeschützt und im Warmen sitzen und etwas trinken kann. Dann heißt es: Draußen bleiben, im Kalten, auch bei Zugausfall und anderthalb Stunden Verspätung des Ersatzzuges. Da sehnt man sich nach den Zeiten zurück, als es in den Bahnhöfen noch Wartesäle gab.

Das nennt man Verarschung: Die Deutsche Post hat einen schön bunten Prospekt über ihre sogenannten Produktneuheiten März/April 2014 an Philatelisten geschickt. Mit dem gedruckten Bild einer abgestempelten Sondermarke auf dem Umschlag statt mit einer echten Briefmarke.

Hehres Traditionsbewusstsein. Immer noch wird in Deutschland eine Kaffeesteuer erhoben. Wir zahlen 2,19 Euro Steuer für jedes Kilo Röstkaffee, für ein Kilo löslichen Kaffee sogar 4,78 Euro. Was sich damit rechtfertigen lässt, dass der Staat den Missbrauch der Droge Coffein unterbinden will. Allerdings ist die Teesteuer schon vor 20 Jahren abgeschafft worden, obwohl die belebende Wirkung des Tees ebenfalls auf der Droge Coffein basiert. Traditionen kommen und gehen – und sind niemals logisch.

Immerhin ist die Jahrhundert-Streitfrage zwischen Deutschland und Frankreich, ob der Rhein ein deutscher Strom ist oder nur Deutschlands Grenze, also den Franzosen genauso viel gehört wie uns, endlich entschieden: Der Rhein gehört uns genauso wenig wie den Franzosen, denn die meisten Schiffe, die jetzt auf diesem am stärksten frequentierten Fluss Europas fahren, tragen die rot-weiß-blaue Flagge der Niederlande. 

Im Oktober 1923 hatte Kemal Atatürk die moderne Türkei gegründet und ihr ein ehrgeiziges Reformprogramm aufgedrückt. Er wollte sein Land aus der Lethargie aufwecken und es zu einem westlichen Staat umformen. Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum dieses epochalen Ereignisses kam ihm die kurzsichtige Politik der deutschen Nationalsozialisten dabei zu Hilfe. Weil die Nazis glaubten, es sich leisten zu können, auf alle jüdischen Wissenschaftler sowie auf solche, die mit den Nazis nicht kooperieren wollten, zu verzichten, hoben sie 1933 deren Unkündbarkeit als auf Lebenszeit verbeamtete Professoren auf. Einige Hundert von ihnen, durchweg die Spitzenleute sämtlicher Disziplinen, fanden den Weg in die Türkei, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Um nur die jedem bekannten Namen zu nennen: Ernst Reuter und Paul Hindemith. Deutsche Juristen, Mediziner und Sozialwissenschaftler, Künstler und Naturwissenschaftler begründeten den modernen, freiheitlichen Status der türkischen Universitäten, der heute daran zu erkennen ist, dass Polizei sowie Kopftuch außen vor zu bleiben haben.

Der Friedensplatz in Oberhausen hat, ob Ihr es glaubt oder nicht, etwas Fürstliches. Er gibt der Stadt den Anschein einer Residenz, wie er das weite Rechteck der Hausfronten in vornehm dunkelrotem Backstein präsentiert. Dazwischen die Teiche und die zum Appell angetretenen Platanen mit Fassonschnitt. Und am Kopfende dieses schön ordentlichen Arrangements das schlossartige Amtsgericht vom Anfang des 20. Jahrhunderts mit der reich verzierten Fassade aus hellem Naturstein. Über dem Hauptportal links eine Frau, als Symbol der Strafe, rechts eine Frau als Symbol der Reue. Der Fürst, der hier residiert hat, lang, lang ist’s her, Gott sei’s geklagt, war der Schlotbaron Mammon. Und dem dienten noch viel mehr Frauen zu viel mehr Symbolik. Garantiert. 

In der Enge der Bautzener Altstadt weiten sich die Pupillen, wenn man sich zum Umtrunk im Mönchshof niedergelassen hat und an den Wänden Sprüche liest wie: „Wem zu wol ist, der neme eyn weib“, „Wünsche lösen Wünsche ab“, „Eyn feigenblatt ist etwas sehr schönes, man muß nur dahinter kommen“, „In einem Staate, wo Geld alles ist, ist die Tugend nichts“, „Man sucht von Weibern und von Fischen das Mittelstück gern zu erwischen“, „Die Glocken läuten nit, so man nit den Schwengel ziehet“, „Jedem riechen seine eigen wind wol“, „Man sachte, sagt die Dern, das hemd ist noch voor“, „Wer es mit den Frommen hält, wird fromm, sagte der Mönch, da schlief er bey den Nonnen.“

 

 

 

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