666. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Der belgische König Philippe hat eine Aufsehen erregende Neuheit gewagt: Er hat seine Weihnachtsansprache auch in deutscher Sprache gehalten. Mit gutem Grund, leben doch im Grenzgebiet zu Deutschland rund 80 000 deutschsprachige Belgier. Was so honorig aussieht, könnte aber auch der Trick sein, mit dem Belgien endlich sein größtes Problem überwindet, nämlich den ewigen Streit zwischen dem französischsprachigen und dem niederländischsprachigen Bevölkerungsteil. Sollen die Streithähne sich nun zusammentun im Abwehrkampf gegen die deutschsprachigen Belgier?

Ein britischer Chirurg ist damit aufgefallen, dass er eine von ihm eingesetzte Spenderleber signiert hat. Mit Hilfe des Edelgases Argon hat er dem Organ seine Initialen aufgebrannt. Das bringt den Mann jetzt in Schwierigkeiten. Aber viel interessanter ist; dass damit die Geburt einer neuen Gattung von Künstlern dokumentiert wird: Die bisher nur so genannte ärztliche Kunst, nun tritt sie mit Künstlern auf. Sie hat den viele Jahrhunderte langen Weg von der nicht einem Individuum zuschreibbaren Könnerschaft zurückgelegt, den auch die Literatur, die bildende Kunst sowie viele andere Künste gehen mussten, ehe ein einzelnes Werk von einem einzelnen Künstler signiert wurde. Das lässt uns Künstler hoffen: Wenn die Chirurgen demnächst ebenfalls Zwangsmitglieder in der Künstlersozialkasse werden, kommt diese ewig klamme Kasse vielleicht endlich in die schwarzen Zahlen.

Die absurdeste Absurdität des Jahresanfangs 2014 ist, dass ausgerechnet Despoten wie Wladimir Putin und Baschar al-Assad neue Sympathie gewinnen, weil sie sich so vehement – auch – gegen den kriegerischen Islamismus stemmen.

Eine Erfolgsmeldung? In Schweden wird mittlerweile mehr mit Karte bezahlt als mit Bargeld. Das ist nicht das erste Unheil, das seinen Weg aus den USA nach Europa über Schweden nimmt. Genauso ging es beispielsweise mit der Jugendkriminalität und dem Drogenmissbrauch. Als Kunde an der Supermarktkasse ärgert man sich über die Verzögerung durch die Kartenzahler. Aber die Händler freuen sich, weil die Kunden sich nicht so schwer tun mit dem Zahlen per Karte wie mit dem Hergeben von Geldscheinen. Und die Banken freuen sich über die Gebühren, die sie kassieren, und warten nur auf den Zeitpunkt, da alle Konsumenten mit Karte bezahlen, weil sie dann die Gebühren beliebig anheben können.

Mehr und mehr vereinsamt der Einzelne heute durch ausufernden Fernseh- und Filmgenuss. Gleichzeitig nehmen wir immer mehr Abstand von Veranstaltungen und privaten Treffen, weil Rauchen verboten und Alkoholkonsum für Autofahrer zu gefährlich ist. Umso notwendiger als Ausgleich wird für uns deshalb alles, was als soziales Netzwerk bezeichnet wird (Facebook u.a.). Doch gibt es viele Desinteressierte, die es kategorisch ablehnen, dabei mitzumachen, weil sie keinerlei persönliche Information hergeben wollen. Ihr Desinteresse kommt meist glücklich zur Deckung mit dem der Allgemeinheit, die von diesen Leuten ohnehin nichts wissen will.

Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der die Leute früher in die Sonntagsmesse oder den Sonntags-Gottesdienst gingen, ziehen sie sich nun am Sonntagabend den Sonntagskrimi rein. Der arbeitsfreie Sonntag, der Tag des Herrn, er ist damit immer noch der Tag des fremdbestimmten Lebens.

Sachbücher lesen oder Romane lesen? Für manch einen ist das eine klar entschiedene Frage: Nur Sachbücher, sagt der eine, lieber Romane, sagt der andere. Ich habe anfangs Sachbücher geschrieben und bin dann auf Romane umgestiegen, weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass mir der Inhalt der Sachbücher schon nach kurzer Zeit entfallen war, während sich Romaninhalte in mir dauerhaft festgesetzt hatten. Was ich mir laienhaft damit erklärt habe, dass durch die seelische Erregung, die ein die Gefühle ansprechender Roman auslöst, gleich in welcher Richtung, das Gelesene sich tiefer in mein Gedächtnis eingeritzt hat als der interessanteste Sachbuchstoff. Jetzt haben Hirnforscher die Erklärung dafür gefunden: Die Lektüre fiktiver Geschichten hinterlässt im Gehirn bleibende Spuren, weil in der als linker Gyrus angularis bekannten Hirnwindung und im hinteren Teil des Schläfenlappens neue Nervenbahnen zwischen unterschiedlichen Hirnarealen aufgebaut werden.

Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht im Rheinland aufgewachsen wäre, sondern in der SBZ, der Sowjetisch besetzten Zone, später DDR genannt. Für ein angenehmes Leben völlig andere Vorbedingungen. Viel schlechtere. Aber für meine Arbeit als Schriftsteller viel bessere. Denn als DDR-Bürger wäre ich mit ein bisschen Marginalkritik an Staat und Gesellschaft der DDR auf dem ostdeutschen Buchmarkt beachtet und auf dem westdeutschen emphatisch hochgejubelt worden, hätte also zwei Märkte statt einen gehabt.

Ich wohne direkt am Rhein, nur durch einen Streifen Auwald vom Fluss getrennt. Leider wird dieser Streifen Wald von Jahr zu Jahr dünner, weil immer mehr Bäume umgelegt werden, was die Mannheimer Stadtväter mit dem Aufstellen von immer mehr Verkehrsschildern nur unvollkommen ausgleichen können.

Diese dummen Orientierungsschwierigkeiten, wenn meine Augen den Schiffen folgen, die den Rhein hinauf oder hinunter fahren, nach rechts oder nach links, nach Norden oder nach Süden, auf Bergfahrt oder auf Talfahrt. Weil mir immer wieder die große Deutschlandkarte in den Sinn kommt, die in der Schule an den Kartenständer gehängt wurde. Bei der war oben Norden und unten Süden, wie sich das gehört. Doch jetzt fließt der Rhein – entgegen aller schulischen Erfahrung – nicht hinunter, sondern nach Norden hinauf, und das nennt man Talfahrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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