643. Ausgabe


Die Berlinale 2013 ist zu Ende. Wieder ein voller Erfolg. Viele verkaufte Eintrittskarten für viele Filme. Und viele sogenannte Stars und Sternchen auf dem roten Teppich, die sich von vielen Menschen bewundern ließen. – Wofür eigentlich bewundert? Dafür, dass sie so brav in Gestik und Mimik und Ton wiedergegeben haben, was die Regisseure von ihnen verlangt haben, weil die Drehbauchautoren es ihnen vorgeschrieben hatten. Zum diesjährigen Berliner Sternchengeflimmer passte, dass gerade in der Berlinalezeit der Sternenhimmel über uns verrückt spielte: Ein aufdringlicher Asteroid sauste vorbei, und ein Meteorit explodierte über Russland. Als hätte man im Weltall den Seufzer gehört, den ich für den Berliner Starrummel übrig hatte: Die Sonne ist mir lieber als alle Stars und Sternchen zusammen.

Die deutsche Rüstungsindustrie boomt, lese ich in der Zeitung. Doch in der daneben stehenden Länder-Statistik des Stockholmer Friedensforschungsinstituts – eine so euphemistisch klingende Bezeichnung wie Gesundheitskasse für die AOK – steht Deutschland als Hersteller von Rüstungsgütern (Vorsicht, güter ist nicht die Steigerung von gut) weit abgeschlagen hinter den Großproduzenten USA und England. Was mich fast schon wieder beruhigt. Zumal die Zahlen für China fehlen, die uns wohl noch weiter nach hinten bringen und uns damit für die Weltöffentlichkeit beinahe unsichtbar werden lassen.

Dem Ringen droht, obwohl eine der ältesten Sportarten, das Aus bei den Olympischen Spielen. Das kann man nur verstehen, wenn man einen Blick auf die fast nackten Muskelmänner wirft, die der Sportartikelindustrie keine Chance  für das große Geschäft bieten, nicht einmal attraktiven Platz für die Markenwerbung. Besonders bedauerlich, dass man auch kein Damenringen mehr zu sehen kriegt. Doch war diese Modernisierung ohnehin der falsche Weg, man hätte stattdessen zu den Ursprüngen zurückkehren sollen. Im Alten Griechenland wetteiferten die Olympioniken splitterfasernackt. Das hätte die Sportart retten können, weil es mehr Geld für die Fernsehrechte einbringen würde und auch für Sportwetten reizvoller wäre.

Zu unserer Vorstellung vom schönen Leben gehört, da sind wir uns einig, der feine Sandstrand. Doch jetzt hat man an britischen Stränden festgestellt, dass schon ein Drittel des Sandes gar kein Sand ist, sondern kleingewaschenes Plastik. Und im Pazifik fanden Forscher sechs Mal soviel Plastik wie tierisches Plankton. Über Meerestiere und Vögel ist das Plastik auch bereits in unsere Nahrungskette gekommen. Das heißt, wir müllen nicht nur die Meere, den Boden und das Weltall voll, darüber könnte man als Gourmet ja noch großzügig hinwegschauen, nein, wir sind jetzt schon dabei, uns selbst zuzumüllen. Wohl bekomm’s!

In der Zeitung jeden Tag Berichte über neue Tote, Tote, Tote hier und da und dort. Und dazu noch die Todesanzeigen. Aber selten eine Geburtsanzeige. Auf erfreuliche Berichte über die Zeugung neuen Lebens wage ich schon gar nicht zu hoffen. Das macht mich auf die Dauer depressiv. Ich glaube, ich muss die Zeitung abbestellen.

Unser täglich Brot gib uns heute! – Der Bäcker um die Ecke packte mir die zwei Frühstücksbrötchen in eine übergroße Papiertüte. Geht’s nicht auch ne Nummer kleiner, wollte ich fragen, weil mir der dafür geschundene Wald leidtat, aber da war der Mann in Weiß schon wieder in der Backstube verschwunden. Erst zuhause sah ich, dass die Tüte ein Werbemedium war, auf dem die 21 Brotsorten aufgeführt waren, die mein Bäcker mir anbot, und die Wochentage, an denen er welche Sorten gerade frisch hatte. Da hätte ich ihn erst recht gern gefragt: Geht’s nicht auch ne Nummer kleiner?

Schön, an Läden entlang zu flanieren, in denen lauter Zeugs angeboten wird, das ich nicht brauche. Dieses beglückende Gefühl. Genauso schön, wenn ich Stellenangebote lese, die mich nicht betreffen. All die tollen Fertigkeiten, denen die Bewerber entsprechen müssen. Nicht nur Fachleute sollen sie sein, sie sollen auch noch innovativ sein. Womit der Arbeitgeber sich schon blamiert hat. Er hätte in „Laufenbergs Läster-Lexikon“ nachschlagen sollen, was innovativ heißt.

Nicht nur Wortneuschöpfungen wie Armutseinwanderung machen nachdenklich, erst recht nachdenklich machen mich die untergegangenen Wörter. Ihr Verschwinden lässt sie erst richtig vielsagend werden. Deshalb bin ich dabei, diese Abgesoffenen der Sprachentwicklung zu sammeln, also Begriffe, die nicht bloß zu einer Fachsprache gehörten, sondern Allgemeingut waren, aber heute nicht mehr benutzt werden, es sei denn in historischen Darstellungen. Beispielsweise Eisblumen, Umstandskleidung, Sonntagsanzug, Frühjahrshut, Milchbar, Deutscher Gruß, Hochachtung, Fleißkärtchen, Fräulein, Turnschuh, Fernschreiber, Jungfräulichkeit, Wipproller, Geldbriefträger und Geliebte. Wer mir weitere Beispiele sendet – besten Dank im Voraus!

Habe mich mit meinem recht umstrittenen eBook „Muttermilchräuber“ an dem Wettbewerb um den Leipzig Award beteiligt, der am 15. März im Rahmen der Leipziger Buchmesse verliehen wird. Ich stehe zu dem Buch, weil ich darin das Berliner Zille-Milieu im Kaiserreich unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs darstellen konnte. Für das Publikumsvotum sind sämtliche Beiträge jetzt schon im Netz unter www.indie-autor-preis.de vorgestellt. Dort kann in der Rubrik „Titel im Wettbewerb“ unter rund 400 Titeln das Lieblingsbuch angeklickt werden. Ich danke im Voraus für jedes freundliche „Gefällt mir“ bei „Muttermilchräuber“. Kein Problem, man muss das Buch dafür nicht lesen, weil das Leservotum lediglich die Präsentation des Buches betrifft.

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