624. Ausgabe

Norbert Röttgens abrupter Sturz vom Minister und Ministerpräsidentenanwärter ins Bodenlose muss wohl nach einem von zwei großen literarischen Vorbildern gedeutet werden. Entweder war er der Hund der Fabel, der mit einem Knochen im Maul durchs Hochwasser schwamm, einen Knochen im Wasserspiegel sah, danach schnappte und dabei alles verlor, oder er war der brave Parteisoldat der Bibel, der mit dem Uriasbrief in der Tasche ins wildeste Schlachtgetümmel geschickt wurde, damit er sein Leben verliert.

Wenn in den Fußballstadien die Emotionen hochkochen und es zu Tumulten kommt, heißt es, so was gehöre nicht zum Sport. Was aber ist mit der permanenten und hochkonzentrierten Emotionalisierung der Bevölkerung durch Presse, Funk und Fernsehen für die scheinbar so wichtige Sache Fußball? Warum diese Übertreibungen in Nationalismus und Lokalpatriotismus, die von den Spitzenpolitikern noch unterstützt werden? Der Fußball wird zu hoch gehängt. Oder um es mit den Worten der echten Fans zu sagen: Den Ball flach halten!

Ob auch ich Facebook-Aktien gekauft habe, werde ich von Freunden gefragt, die wissen, dass ich schon vor dem Abitur mit Aktien spekuliert habe, zuerst auf fremde Rechnung, dann auf eigene. Ich habe mir Facebook verkniffen, weil das ein Unternehmen ist, das bloß heiße Luft bietet, aber keine wirklichen Werte, keine Produkte, nicht einmal eine Art von Kommunikation, die über Kinkerlitzchen und nette Bildchen hinausgeht.

Zu wissen, unsere Politiker haben letztlich doch nur das Interesse an ihrer eigenen Position im Sinn, ist tröstlich. So kann ich davon ausgehen, dass Frau Merkel sich nicht weich klopfen lässt von unsern Nachbarn, die uns an ihren Schulden teilhaben lassen möchten. Die Bundeskanzlerin wird keine Eurobonds zulassen, weil sie sich nicht selbst zum Abschuss freigeben will.

Büchner für Scherzkeksbücher. Jetzt ging der mit 50.000 Euro dotierte Büchner-Preis an Felicitas Hoppe. Für sie spricht, dass ihre Bücher keine Bestseller sind. Aber dass der renommierteste deutsche Literaturpreis für Bücher vergeben wird, die absichtsvoll darauf verzichten, die Sprache auch als ein Mittel für sinnvolle Aussagen zu nutzen, spricht nicht für den Zustand der deutschen Literatur.

Der spanische Erfolgsautor Mario Vargas Llosa, soll in seinem neuesten Buch, einem umfangreichen Essay mit dem Titel „La civilización del espectáculo“, beklagt haben, dass die gegenwärtige Kultur zum bloßen Amüsierbetrieb verkommen ist. Da braucht man nicht einmal das Fernsehen anzumachen, schon ein Blick in unsere Großbuchhandlungen bestätigt diese Diagnose. Und sie passt auch zu dem, was man als Autor neuerdings immer wieder erlebt: Begriffe wie anspruchsvoll, ernsthaft, nachdenklich sind bei Verlegern und Agenten Negativbegriffe – weil geschäftsschädigend.

Karl Marx hielt die Arbeitsteilung für eines der Hauptübel des Kapitalismus. Er beschrieb, wie der Mensch im Naturzustand seinen Tag mit den unterschiedlichsten Tätigkeiten gefüllt hat statt mit sinnentleertem, immer gleichem Tun, der sogenannten entfremdeten Arbeit. Doch die DDR, die ihn als einen ihrer Heiligen verehrte, hielt das nicht davon ab, beispielsweise aus unserem Hals-, Nasen-, Ohrenarzt drei Ärzte zu machen, einen Halsarzt, einen Nasenarzt und einen Ohrenarzt. Und selbst die Arbeit des Zahnarztes wurde noch weiter aufgeteilt: Auf einmal gab es Kinderdentisten und Kinderzahnärzte.

Unser Riechorgan Nase ist schon stark zurückgebildet, obwohl wir es in permanenter Handarbeit verbreitert und verlängert haben. Dabei ist das Riechen neben dem Essen und Trinken und Fernsehen die wichtigste Dimension der Welterfahrung für uns moderne Großstadtmenschen, die in der Bilderflut und dem Überalllärm untergehen. Wenn ich meiner Nase wieder einmal ein starkes Geruchserlebnis bieten will, setze ich mich in einen ICE-Großraumwagen, und zwar an den Gang. Da blähen sich meine Nasenflügel, wenn die Schönen jederlei Geschlechts an mir vorüber eilen und mir dabei einen Duft nach dem anderen zuwedeln.

Einer der unbekannten Großen unserer Zeit ist Hermann Heinrich Gossen. Selbst in den renommiertesten Lexika wird er irrtümlich als ein berühmter Volkswirtschaftler geführt. So auch in Wikipedia, wo ich das jetzt korrigiert habe. Er war nicht, wie dort behauptet, Nationalökonom oder Volkswirtschaftler, sondern Jurist, nämlich königlich preußischer Regierungs-Assessor – vor allem aber ein Menschenfreund mit enorm nachhaltiger Wirkung. Deshalb habe ich jetzt sein Leben in dem Roman dargestellt: „Die Berechnung des Glücks“. Wer dieses Buch gelesen hat, lebt anschließend anders: geschickter, genussvoller.

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