621. Ausgabe

 

Zum aktuellen Thema Urheberrechtsschutz: Johann Wolfgang von Goethe hatte genau wie Thomas Mann schon sehr früh einen großen literarischen Erfolg. Mit seinem Frühwerk „Werthers Leiden“ der eine, mit den „Buddenbrooks“ der andere. Der Ertragsunterschied aber war gravierend für die beiden Großschriftsteller. Verdiente der junge Thomas Mann mit dem ersten Roman schon gut, ging der junge Goethe weitgehend leer aus. Denn damals gab es noch keinen Urheberrechtsschutz, so dass jedes Erfolgsbuch sofort von Raubdruckern nachgedruckt und auf eigene Rechnung verkauft werden konnte. Das hatte zur Folge, dass Goethe Jahrzehnte lang trotz eifrigem Schreiben und Publizieren von dem Staatsratsgehalt abhängig blieb, das ihm sein Landesherr und Freund zahlte, und von dem Familienvermögen, das Goethes Großvater mit seinem Weinhandel geschaffen hatte. Unser Dichterfürst Goethe musste fünfundsechzig werden, ehe er zum ersten Mal von den Einnahmen leben konnte, die ihm sein Schreiben einbrachte.

Kürzlich ging der Großschriftsteller Günter Grass von seinem phantasiereichen Schreiben ab, weil er offenbar das Gefühl hatte, es müsste einmal auf einer anderen Ebene gesagt werden, was in dem alltäglichen Mediengetöse nicht zu hören ist. Falls er dabei jedoch darauf gesetzt hat, dass der Mensch zwei Ohren hat, ist er einem Irrtum erlegen. Sind wir doch nicht in der Lage, gleichzeitig rechts das eine und links das andere zu hören; denn unsere Ohren sind gleichgeschaltet.

In Deutschland ist das Leugnen des Holocaust verboten, obwohl jeder weiß, dass durch ein bloßes Leugnen Tatsachen nicht verändert werden können. Doch hat der Gesetzgeber nach der Erkenntnis des Epiktet gehandelt: Es geht nicht darum, wie eine Sache ist, sondern wie die Leute sie sehen. Jetzt hat eine unserer politischen Parteien die Schraube eine Windung weitergedreht, als sie einem ihrer Mitglieder verbot zu kandidieren, weil er die Abschaffung des Leugnungsverbots als ein politisches Ziel seiner Partei vorgeschlagen hatte, worüber in der Presse nur kurz und knapp berichtet wurde. Und ich vertraue nun tollkühn darauf, dass die Erwähnung dieses Kandidaturverbots nicht strafbar ist.

Eine Weihnachtsüberraschung mitten im April: Nur Russland, China und Saudi-Arabien haben im vorigen Jahr ihre Militärausgaben erhöht. Alle anderen Staaten mussten bei den Waffengeschäften kürzertreten. Wegen der weltweiten Finanzkrise. Wie mein Vater, der Eisenbahner, schon immer gesagt hat: Alles hat auch seine Vorzüge.

Erst hat Google sich YouTube einverleibt, jetzt hat Facebook Instagram geschluckt. Beide Vorgänge werfen ein deutliches – und erschreckendes – Licht auf die modernen Gesellschaften. Uns werden Bildchen immer wichtiger, Texte immer unwichtiger. Unübersehbar, der moderne Mensch entwickelt sich zurück ins Bilderbuchalter. Bald werden wir wohl mit Schnullern herumlaufen.

In den USA verlieren die protestantischen Traditionskirchen Gläubige. Bei uns ist das nicht anders, und auch die katholische Kirche muss Federn lassen. Das lässt die hoffen, die in den Religionen einen der Hauptgründe oder zumindest Hauptvorwände für Kriege sehen. Doch sollte man sich nicht zu früh freuen. In Amerika haben die Mormonen Zuwachs, einer von ihnen könnte der nächste US-Präsident werden. Und bei uns werden kostenlose Koranexemplare verteilt.

 

Immer wieder werde ich gefragt, ob auch ich Allergiker sei. Wenn ich dann sage, ich sei Agnostiker, herrscht verlegenes Schweigen. Wesentliches ist halt kein Thema für die gepflegte Konversation.

In der Zeitung gelesen: Die Ortschaft Falciano del Massico in Süditalien hat per Dekret festgelegt, dass ihre Bewohner und alle Besucher ab sofort nicht mehr sterben dürfen. Der Grund ist: Die Gemeinde hat keinen eigenen Friedhof. Doch sollen sich bereits zwei ältere Damen nicht an das Verbot gehalten haben. Wie sie für diesen Verstoß gegen geltendes Recht bestraft worden sind, wurde leider nicht mitgeteilt. Das erinnert an das strikte Verbot, das unter der Herrschaft der Malteserritter auf Malta für die vielen tausend türkischen Sklaven galt, von denen mancher sich seinem harten Geschick durch eine tödliche Überdosis von eingeschmuggeltem Opium entzog. Dabei stand auf Selbstmord von Sklaven die Todesstrafe.

Kurgarten Baden-Baden. Du gehst daher und fühlst dich winzig klein, wenn du zu den riesigen Spitzkegeln von Lebensbäumen aufschaust, oder aber du kommst dir gewaltig groß vor, sobald du zwischen den Osterglocken herumspazierst, die alle in eine Richtung schauen, dabei ist dort überhaupt kein Fernseher. Die einen sind so langlebig, dass es schon peinlich ist, die anderen so kurzlebig, dass du triumphieren kannst. Doch wenn dir dann der Gedanke kommt, dass du nicht genauso jedes Jahr mit den neuen frischen Farben auftreten kannst, bleibt dir nur noch, dich ins Spielcasino zu schleichen, um dort dein Glück zu suchen – was man so Glück nennt.

Meine Leser wissen, dass ich schon seit vielen Jahren auch als Literatur- und Filmkritiker arbeite. Jeweils über hundert Rezensionen stehen im Netzine in der Rubrik Rezensionen. Jetzt aber muss ich einmal ausdrücklich auf die neueste Buchrezension hinweisen, weil ich mir den „Roman in Fragen“ des Amerikaners Padgett Powell vorgenommen hatte. Der Mann hat tatsächlich ein ganzes Buch voller Fragen geschrieben. Ohne Antworten und ohne jede Handlung. Das nervt. Aber mir scheint, dieses Experiment hat doch Sinn. Also mal reinschauen – zumindest in die Rezension!

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.