600. Ausgabe

Mutig, mutig. Der Filmemacher Dieter Wedel hat jetzt Worms vom Geruch der Hunnen befreit und die Heroen Siegfried, Hagen und Kriemhild wieder in den deutschen Kulturfundus verbannt. Das neue Großspektakel unter freiem Himmel, das er in dem altehrwürdigen Rheinstädtchen Worms inszeniert hat, trägt den Titel: „Das Leben des Joseph Süss Oppenheimer genannt Jud Süss.“ Natürlich wird in der Presse sofort der Vergleich mit dem Kinofilm „Jud Süss“ angestellt, leider meist in Unkenntnis des Films, den Veit Harlan im Jahr 1940 auf Anordnung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels gedreht hat. Ein Erfolgsfilm, der zumindest teilweise ein antisemitischer Hetzfilm ist. Seine öffentliche Aufführung ist deshalb in Deutschland bis heute verboten (meine Rezension, geschrieben aufgrund einer speziellen Vorführung vor Filmleuten, ist unter www.netzine.de/rezensionen zu finden). Der Veit-Harlan-Streifen basiert stellenweise auf Wilhelm Hauff, auf Meyers Konversationslexikon, auf dem Juden-Pamphlet Martin Luthers sowie auf massiver Einmischung des Propagandaministers. Er ist, obwohl als antijüdischer Film gewollt, auch ein Film gegen Alleinherrschaft. Denn der eigentliche Fiesling in diesem Film ist nicht der rücksichtslose Geldbeschaffer Jud Süss, sondern sein Auftraggeber, der unersättliche Verschwender und Lüstling Herzog Karl Alexander von Württemberg.

Immer neue, angeblich unbedingt notwendige Elektronik wird uns aufgedrängt, und von geschäftstüchtigen Leuten wird das Ende des Buchzeitalters beschworen. Doch die Bibliothekare haben ihre Not, weil sie immer mehr veraltete Geräte mit längst überholter Software aufbewahren müssen, um ihre elektronisch gespeicherten Schätze zugänglich zu halten. Haben die so schnell wechselnden Computer-Programme doch Halbwertzeiten von weniger als einem Jahrzehnt. Jetzt hat die Universität Chicago das Wörterbuch der assyrischen Sprache, die seit über 2000 Jahren vergessen ist, veröffentlich. Eine neunzigjährige Bemühung vieler Übersetzer mit den Keilschrifttafeln fand ihren Abschluss in einem 21-Bände-Wörterbuch, natürlich auf Papier gedruckt, weil kein elektronisches Medium genügend Haltbarkeit bieten kann. Fazit: Bänder, Disketten und Tablets oder Lesegeräte, alles nur Spielzeug im Vergleich zum Buch.

Die Mitgliederzahlen der CDU und der SPD verringerten sich auch im vorigen Jahr, ebenfalls die der FDP und der Linkspartei, lediglich die Grünen hatten Zuwachs. So steht es in einer viel zu kleinen Zeitungsmeldung. Dabei wäre eine monatliche Veröffentlichung der Mitgliederzahlen aller Parteien auf den ersten Seiten der Zeitungen und zu den besten Sendezeiten sinnvoll. Wie das Volk mit Eintreten und Austreten sich Monat um Monat für und gegen die Parteien entscheidet, das ist eine weit bessere Methode der Beteiligung des Volkes am politischen Geschehen als die viel zu seltenen Möglichkeiten, per Kreuzchen in der Wahlkabine oder durch Wahlenthaltung den Politikern zu zeigen, was man von ihnen hält. Nebeneffekt: Die vom Steuerzahler zu tragenden horrenden Kosten der diversen Wahlen könnten genauso eingespart werden wie die der ständig durchgeführten Meinungsumfragen, die ohnehin mehr fragwürdig sind als aussagekräftig.

Noch vor sechzig Jahren sagte meine Mutter – sie war Schneiderin –, die Farben Grün und Blau könne man niemals zusammenbringen. Jetzt geht das und gilt sogar als besonders schick. Aktuell geht es um viel gewagtere Kombinationen: Grün und Schwarz oder Grün und Rot. Ob sich auch dabei der Geschmack ändert?

Die Natur, seit ihrer Verherrlichung in den Zeiten der Romantik und des Jugendstils für die westlichen Menschen so was wie eine Hausgöttin, verliert ihre Gläubigen. Tsunamis und Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tornados und Überschwemmungen in immer schnellerer Folge zeigen mit ihren immer gewaltigeren Schäden, dass die Natur nicht für sondern gegen uns ist. Also: In die Bunker, ihr Affen!

Nach jedem schweren Verkehrsunfall wegen überhöhter Geschwindigkeit kommen die Gutmenschen mit ihrer Forderung nach einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auch in Deutschland. Was in den USA und in vielen anderen modernen Ländern geht, das müsse auch bei uns gehen. Sozialwissenschaftler kontern sofort mit der Feststellung, jede Gesellschaft habe ihre unausrottbaren Marotten, so gehöre die ungehemmte Raserei zu uns Deutschen wie die hemmungslose Schießerei zu den Amerikanern und die enthemmte Sauferei zu den Russen. Deshalb liebt man in den Chefetagen unserer Autoproduzenten, die immer noch schnellere Wagen auf den Markt bringen, neuerdings sogar Sozialwissenschaftler.

Der Sudan teilt sich. Muss sein, heißt es. Die verschiedenen Religionen erzwingen eine Separierung der Bevölkerung in zwei Staaten. Getrennt beten, vereint friedlich schlafen. Doch bringt das neue Probleme, denn der Süden hat das viele Erdöl, der Norden die Transport- und Verladeeinrichtungen dafür. Bei den beiden verfeindeten Sudans wird sich zeigen, ob die Frömmigkeit, die in vielen Weltecken die Geldgier kaschieren muss, wirklich ausschlaggebend für die Trennung war. Bleibt nur zu hoffen, dass Frau Merkel auch dort den Einsatz von deutschen Soldaten ablehnt. Die Heizanlage im Bundeskanzleramt soll ja schon unter ihrem Vorgänger von Öl auf Erdgas umgestellt worden sein.

In welchem Land gibt es so viele heilige Orte wie in Frankreich? Immer wieder kommt man zu einem Saint- oder Sainte-Soundso. Entweder war das Volk früher so fromm, dass es aus seinen Reihen haufenweise Heilige hervorbrachte, oder es war so rabiat, dass die wenigen Anständigen gleich zur Ehre der Altäre befördert wurden. Hoffentlich nicht als Menschenopfer. Dagegen spricht, dass die Franzosen das Opfern von Menschen andersherum sehen: Heilig ist, wer viele Menschen geopfert hat, beispielsweise der Sachsenschlächter Karl der Große, hier als der heilige Charlemagne verehrt.

Neben weiten Feldern und putzigen Dörfchen überrascht die Normandie mit einem Kommen und Gehen des Meeres, wie es kaum irgendwo sonst zu bewundern ist. Ein Tidenhub von bis zu dreizehn Metern. Und noch etwas hat die Nordküste Frankreichs zu bieten, mit der keine andere in Europa mithalten kann, nämlich Eroberungen im Kingsize-Format. Mal waren es die Wikinger, die als die gefürchteten Normannen das Land überschwemmten, dann war es im Jahre 1066 Wilhelm der Eroberer, der von dieser Küste aus mit einem gewaltigen Heer über England herfiel, und mit einer noch gigantischeren Streitmacht überzogen die Alliierten 1944 die Küste. Jetzt weiß ich, was man unter Gezeiten versteht.

Der Mont Saint Michel liegt im Grenzgebiet von Normandie und Bretagne. Für die Millionen Touristen, die den Berg erklimmen, spielt das keine Rolle. Der Weg hinauf ist steiler als der Leidensweg Christi in Jerusalem, bringt dafür aber ein noch viel größeres Angebot an Souvenir-Klimbim und Lokalen und Kuriositäten-Kabinetten als dort. Die elektronische Führung durch die vielen Hallen und Flure der gewaltigen Klosteranlage, mit denen die Benediktiner den Berg gekrönt haben, für manchen etwas zu fülligen Besucher eine Dornenkrone, bemüht sich darum, die gigantische Leere mit Vorstellung zu füllen. Was den Kameras aber nicht hilft. Da ist man froh, auf das große Laufrad zu treffen, mit dem der Versorgungsschlitten auf der langen Rutsche hoch gezogen wurde. Von dem anonymen Führer am Ohr kein Hinweis darauf, wie dieses Laufrad bewegt wurde, nur dass dort die Zellen von Gefangenen waren. Da erinnert sich manch einer an den niedlichen Hamster, den er als Kind hatte und bewunderte, wenn er unermüdlich im Laufrädchen lief.

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