599. Ausgabe


Nicht nur in Japan gibt es ein Altenwunder, das man jetzt allmählich aufzuklären beginnt. Die Verstorbenen nicht abzumelden, und ihre Altersversorgung jahrelang weiter zu beziehen, ist ja auch zu reizvoll. So bleibt einem doch noch etwas von dem lieben Verstorbenen, woran man sich erfreuen kann. Warum also sollten sich die Griechen, bei denen jetzt 4500 längst verstorbene Staatsbedienstete auf der Liste der Pensionäre entdeckt wurden, hinter den pfiffigen Japanern verstecken?

Frau Obama, die ihren Gast, Frau Merkel, mit Salat und Gemüse aus dem eigenen Gärtchen verwöhnt hat, sorgt bei uns für frischen Wind in den Laubenpieperkolonien. Beim Selbstgezogenen weiß man doch wenigstens, mit welchen Giften man es veredelt hat.

Im klassischen griechischen Theater trugen die Schauspieler Masken, womit erreicht wurde, dass ein Akteur ohne Schwierigkeiten in sehr unterschiedliche Rollen schlüpfen konnte. Heute hat der Zuschauer mit der Verwirrung zu kämpfen, wenn die ihm als Nonne vertraute Serienschauspielerin in einem Spielfilm eine geile Geliebte darstellt oder der von ihm als cleverer Kriminalkommissar bewunderte Schauspieler plötzlich als ein tumb-rabiater Cowboy auftritt. Sollten unsere Schauspieler also wieder Masken tragen müssen? Dann gäbe es einen Aufstand, denn ihr bekanntes Gesicht und ihr bekannter Name, das ist den Mimen von heute mehr wert als ihre Überzeugungskraft im Rollenspiel – dem blöden Publikum ja auch.

Wenn ich in der Zeitung Sankt Petersburg erwähnt finde, versuche ich natürlich sofort, Näheres über diesen mir bisher nicht bekannten Heiligen namens Petersburg zu erfahren. Aber das Standardwerk von Gisbert Kranz über die Heiligen („Sie lebten das Christentum“) und auch meine Lexika müssen passen, ebenso Google und Wikipedia. Offenbar war der heilige Petersburg ein genauso perfekt getarnter Mann wie in Berlin der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche.

In den Tageszeitungen werden die Leserbriefspalten immer wichtiger, und das trotz der lieblosen und unübersichtlichen Gestaltung. Das könnte man als ein Beispiel für gelungene interaktive Kommunikation feiern. Es hat aber auch eine inhaltliche Bedeutung: Für den anspruchsvollen Zeitungsleser ist jede Ausweitung der Leserbriefecke ein Gewinn, weil dort auch manches Bildungsmanko der Redakteure ausgeglichen wird.

Bei Spiegel Online gelesen, dass es heute noch Fachleute gibt, die meterlange Damast-Schwerter schmieden können. Endlich einmal eine gute Idee zum Abrüsten, die berühmten, aber so gefährlichen Damaszener-Klingen durch Stoffschwerter zu ersetzen.

Doch die Frankfurter Allgemeine Zeitung erfreute mich jetzt mit einer Glosse zu dem Unsinn, alles doppelgeschlechtlich zu benennen, obwohl man doch die 68er mit ihrer arroganten Halbbildung überwunden haben dürfte und sich klargemacht hat, dass das grammatische Geschlecht (Genus) nichts mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) zu tun hat. Wir brauchen also nicht auch noch die andersgeschlechtliche Form von Mensch und Gast und Geisel. Schon die Leserin und die Mörderin und Professorin waren überflüssig. Doch der Deutsche Germanistenverband, der eigentlich noch ein inniges Verhältnis zu unserer Sprache haben müsste, hat sich jetzt in einem Rundschreiben sogar an seine Mitgliederinnen und Mitglieder gewandt. Die Verantwortlichinnen und Verantwortlichen dieses Verbandes sollten demnächst als Klapsmühleninsassinnen und –insassen grüßen können.

Zigeuner, so darf man in Deutschland – blödsinnigerweise – die Menschen nicht nennen, die sich selbst als Zigeuner bezeichnen. Weil sie überwiegend die Sesshaftigkeit und das Arbeiten in abhängiger Stellung ablehnen, werden sie traditionell von Mustermann und Musterfrau abgelehnt. Nur Zigeunermusik und Zigeunerschnitzel werden akzeptiert. Doch in den verstärkt heraufziehenden Zeiten des Facharbeitermangels bekommt diese mehr als zehn Millionen Menschen starke und in Ländern von Bulgarien bis Spanien lebende Minderheit als innereuropäische Reservearmee eine neue Qualität. Man wird schon Mittel und Wege finden, sie in die Fabriken und Büros zu locken.

Vier Negativmeldungen auf einmal erwischen mich beim Frühstück: In Deutschland werden immer mehr Eisenbahnlinien stillgelegt und immer mehr Autobahnen ausgebaut, im letzten Jahr sank die Zahl der verkauften Fahrräder, und in diesem Jahr werden mehr Autos verkauft als je zuvor. Dahinter stehen immer auch politische Entscheidungen. Jeder weiß, dass diese Entscheidungen falsch sind, aber niemand sagt mir, was ich dagegen tun kann. Das ist die fünfte Negativmeldung.

Vorsicht, unsere Kultusminister, die mit der verpfuschten Rechtschreibreform das Schreiben erleichtern wollten, was das Lesen erschwert hat, weil viel an Eindeutigkeit weggefallen ist, sie holen jetzt zum nächsten Streich aus. In Deutschland sind 14 Prozent der Erwerbstätigen funktionale Analphabeten, also Leute, die gerade einmal Straßenschilder lesen können, aber keine Gebrauchsanweisungen. Weit mehr als in Frankreich und England. Deshalb haben die Kultusminister jetzt einen Pakt für Alphabetisierung geschlossen. Der Bund und die Länder sollen Gelder zur Verfügung stellen, um die Leseschwäche von Erwachsenen abzubauen. Ob die Kulturminister auch mit eigenem Geld mithelfen, die von ihnen gemachten Fehler auszubügeln, wird nicht gesagt.

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