Wie es dazu kam – 1. Bericht – 2. Bericht – 3. Bericht – 4. Bericht
Der Krieg hat begonnen
Gerade noch rechtzeitig zurückgekommen. Diese bewundernswerte Geschwindigkeit, mit der man heute dem Tod entwischen kann, der Technik sei Dank. Um dann aus einigen tausend Kilometern Entfernung live mitanzusehen, wie Amerikaner und Briten den Irakern eine christliche Lektion verpassen: So müßt Ihr Euch das Jüngste Gericht vorstellen, Ihr Bösen! Nur gut sechs Stunden brauchen die mit Raketen und Bomben schwer beladenenen B-52-Bomber von London bis Bagdad, wo sie ihre gewaltigen Explosivlasten abwerfen, um erleichtert abzudrehen und heimzufliegen. Exakt sieben Minuten vor dem Beginn des Infernos heulen die Sirenen auf. Sie rufen viel lauter zum Beten als der Muezzin, unüberhörbar.
Vor dem Flug nach Bagdad nahm mir im Frankfurter Flughafen ein Sicherheitsbeamter mein kleines gebogenes Nagelscherchen ab. Aus dem Kulturbeutel in der Reisetasche. Da stand ich plötzlich ganz unbewaffnet da. Zum Glück bekam ich anschließend in der Royal-Jordanian-Maschine ein richtig stabiles und handliches Metallbesteck: Messer und Gabel, passend für die Bedrohung von Pilot und Copilot. Da konnte ich noch lachen.
Vor dem Rückflug von Bagdad befahl mir im Saddam International Airport ein Sicherheitsbeamter, mit ihm abseits zu gehen, in einen leerstehenden Raum, wo er Dollars von mir verlangte, wenn ich meinen Reisepaß wiederbekommen wollte: Erst einen Zehner, dann den zweiten, den dritten und auch noch den vierten. Das einzige unangenehme Erlebnis mit einem Iraker. Und auch das habe ich ihm inzwischen verziehen. Er wird Familie haben, und ihm und seinen Lieben geht es weit schlechter als mir. Vielleicht helfen die paar Greenbacks ihnen zu überleben. Hätte ich dem Mann nur mehr Dollars gegeben.
Und nun Stunde um Stunde vor dem Fernseher. Es ist wie beim Fußballspiel oder anderen Großereignissen: Man bekommt mehr mit, wenn man nicht dabei ist, sondern daheim vor der Kiste zuschaut. Denn die Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg ist schamlos direkt: Im Hauptfeld des Bildschirms die Aufnahmen von der nächtlichen Bombardierung Bagdads, darunter ein Laufband mit den Zahlen der Opfer und ein weiteres Laufband mit den neuesten Börsenkursen. So erkennt man auf einen Blick das Doppelgesicht des Krieges.
Dabei sehe ich noch das freundliche Gesicht des langen Sudanesen vor mir, der vor dem Haupteingang des Hotels Al Rasheed seinen Dienst tat: Autotüren aufreißen. Vor zehn Jahren aus seiner Heimat geflohen, um dem ewigen Krieg davonzulaufen. Mein kleiner irakischer Fahrer hat sich gutmütig neben ihn gestellt, zum kuriosen Erinnerungsfoto. Der Fahrer, der einen so herzlich anlachen konnte, aber nicht verriet, was er verstand und wem er darüber zu berichten hatte. Jetzt sind sie in den Kellern und Bunkern vereint, sobald die Sirenen losheulen. Vereint auch mit der Studentin, die Geburtstag hatte, und mit ihrer übermütig lustigen Clique, auch mit dem Wirtschafts-Professor und seiner Frau aus Rostock und ihren vier Töchtern. Dabei auch die schick aufgemachte Leiterin der Gedenkstätte Al Ameriya Shelter, die so genau weiß, wie wenig Schutz ein Bunker noch bieten kann. Die fröhlichen Koranschüler im ehemaligen Kalifenpalast von Samarra wie auch unsere Begleiterin im Palast von Babylon, die nahezu perfekt deutsch sprach, in Bagdad gelernt, Studium der deutschen Literatur, danach arbeitslos und Gelegenheits-Fremdenführerin.
Und die jungen Mütter in der Kinderklinik, die den Tag über möglichst am Bett ihrer Kleinen blieben? Diese Blicke aus den traurig-dunklen Augen, als der fremde Mann aus der anderen Welt ihr schwerkrankes Kind angelächelt und ihm ein Bonbon in die Winzhand gegeben hat. Und ich sitze vor dem heimischen Fernseher und zucke bei jedem schweren Einschlag zusammen, als säße ich in Bagdad, in Kerbela, in Babylon, in Samarra oder Basrah mit ihnen im Keller oder im Bunker, so wenig geschützt wie sie – dank der modernen Technik.
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