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Zum Euphrat

Wie es sich für eine Großstadt gehört, ist auch Bagdad von Gemüsefeldern umgeben. An der Ausfallstraße nach Süden, die wir heute in rasendem Ritt nehmen, hocken die Bauern hinter Bergen von Grünzeug, Tomaten, Orangen, Zwiebeln und Kartoffeln. Verarbeitete, meist alte Menschen, die hier auf Käufer hoffen, die personifizierte Geduld. Solche Bilder sieht man nicht, wo gehungert wird. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, nicht zuletzt durch die ausgegebenen Lebensmittelkarten und das UN-Programm “Nahrungsmittel für Öl”. Man muß nur das Geld haben, sich die nötigen Nahrungsmittel zu kaufen, und am Geld hapert es bei immer mehr Irakern, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist. Zu viele Unternehmen mußten schließen, eine Folge des seit 12 Jahren herrschenden Handelsembargos. Dort eine primitive Tankstelle, an der Dutzende Bauern mit kleinen einachsigen Eselfuhrwerken herumstehen und warten, da sie die aufgebundene, langgestreckte Tonne gefüllt kriegen. Und hin und wieder ein improvisiertes MG-Nest neben der Straße. Ein Dreiviertelkreis als aufgeworfener niedriger Wall, guter Mutterboden. Darauf als Wallkrone ein paar Sandsäcke, gut gegen einen Schuß aus einer der Traditionsflinten der Kameltreiber. Für einen Panzer keine Granate wert, kaum zu bemerken beim Überrollen. Dabei so geschickt gebaut, mit drei Stufen aus Sandsöcken an der Rückseite, zum bequemen Hineinsteigen ins Himmelreich. Wo sich ein kleiner Ort an die Straße anschmiegt, sitzen Händler hinter ganzen Mauern weier Säcke. Kein Sand sondern Reis, hoffentlich können das die Panzerfahrer auf die Schnelle unterscheiden. Immerhin gilt die Parole Blitzkrieg. Da kann man nicht so genau hinschauen.

Eine Brücke über den Euphrat, dann Kerbela, die heilige Stadt der schiitischen Muslime, der von der Regierung nur geduldeten Mehrheit der Bevölkerung des Irak (rund 60 %), für die es keinen Zugang zu wichtigeren Positionen gibt. Schon eher für die Minderheit von rund 4 % Christen verschiedener Art. Das Land wird beherrscht von der Minderheit der sunnitischen Muslime (rund 35 %), die aber nur als Araber akzeptiert sind, nicht als Kurden. Sunniten und Schiiten, die beiden Varianten des Islam, feindliche Brüder im Glauben, die uns an deutsche Verhältnisse zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges erinnern, als die einen Christen die schlimmsten Feinde der anderen Christen waren. Leicht vorstellbar, was passiert, wenn der starke Mann des Irak nicht mehr da ist, der das Volk mit brutaler Gewalt zusammenhält. Im Norden zwanzig verschiedene Kurden-Clans, die sich  jeden Vorteil streitig machen, dazu Schiiten gegen Sunniten und die armen Marschbewohner aus dem Süden gegen die reichen Stadtbewohner, ganz zu schweigen von den Nomaden der Wüste und den Herren der Ölquellen. Ohne die brutale Unterdrückung heißt die Zukunft des Irak: Jeder gegen jeden. Jugoslawien und Afghanistan lassen grüßen.

Aber noch ist alles friedlich. Freitag, die Stadt ist voll von Gläubigen, die zu den beiden großen Moscheen hin streben, um an den Schreinen der von ihnen verehrten Märtyrer  Hussein und Abbas zu beten. Die Frömmigkeit der Schiiten bringt Leben in den Endlos-Basar, der sich unter den Kolonnaden der gelbbraunen Backsteinhäuser eingenistet hat, die als moderne Umrahmung der Moscheen dienen.

Fladen

Moschee

Hier gibt es alles zu kaufen, von Strümpfen und Büstenhaltern bis zu Uralt-Fotoapparaten und Musikkassetten. Und natürlich überall Fladenbrot und heißer Tee.

Was wir nicht zu sehen bekommen, sind die endlos weiten Friedhöfe außerhalb Kerbelas, auf denen begraben zu werden der Traum eines jeden Schiiten ist. Und wir sehen auch keine modernen Geschäfte mit Waren der Luxusklasse, wie sie in Bagdad zu bestaunen sind. Schmuggelgut zu exorbitanten Preisen für die herrschenden Cliquen. Die Hauptstadt ist weit, und der Himmel ist den Leuten hier näher.

Das unübersehbar weite Überschwemmungsgebiet des Euphrat ist ein trockenes Sandland, platt und braungrau, nur aufgelockert durch die Plastikabfälle neben der gut ausgebauten Straße. Hin und wieder eine primitive Hütte aus aufgeschichteten Backsteinen im trostlos leeren Gelände. Ein Sandsturm fegt über die Straße. Der Fahrer hat rechtzeitig die Fenster geschlossen, die Belüftung abgestellt. Jetzt lauscht er der Anrufung Allahs im Autoradio.Völlig unerwartet ein Stück Grünland neben der Straße und darauf eine Herde Dromedare. Schon wieder vorbei. Auch einmal ein paar Schafe mit einem Schäfer. Ebenfalls sofort vorbei. Alles außer den MG-Nestern rechts und links der breiten Straße  wirkt fast wie eine Fata Morgana, so unwirklich. Doch dann plötzlich Gemüsefelder und ein kleiner Ort. Wir fahren in das uralte Städtchen Al Kifil ein. Wieder ein heiliger Ort, weil hier der Prophet Hesekiel sein Grab gefunden haben soll. Wir finden einen mit ehrfurchtgebietend altem Gewölbe überdachten Basar.

Basar

Basar

Basar

Basar

Ob die Menschen hier sich so gern an die großen Figuren der Vergangenheit anlehnen, weil die Gegenwart ihnen keinen Halt gibt? Eine Frage, die nicht ausgesprochen werden kann, weil die drei irakischen Fahrer bei uns sitzen.


Babylon

Eine Stadt, die fünfzehn Jahrhunderte lang das kulturelle Zentrum des Landes und sein Verwaltungssitz war, von König Hammurabi, dem Gesetzgeber, bis zu Alexander dem Großen, der hier im Jahre 322 v. u. Z. starb. Ihr Zentrum, der Palast von Babylon, ist wiedererstanden, besser gesagt: der Palast entsteht in der Vorstellung eines jeden Besuchers wieder, der genügend Phantasie aufwendet, die Leere zu füllen. Die Hitze stimmt einen richtig ein, das flimmernde Licht gaukelt einem Großes vor, der Wind, der Staub, das sind die passenden Ewigkeitsdiener. Willkommene Helfer der Vorstellung. Denn was man hier sieht, das sind große Tore, die zu nichts Größerem hin führen, wiedererrichtete Mauern, die im Wüstensand stehen, ohne was zu umschließen, gewaltige Säle ohne Deckengewölbe und eine Prozessionsstraße, die nirgendwohin geht. Da sind Reste einer alten Straßenpflasterung mit verknautschter Teerabdeckung, da sind Halden alter Ziegel, über denen man sich die berühmten hängenden Gärten von Babylon vorstellen muß, eines der sieben Weltwunder der Antike.

Prozession

Prozession

Eingangstor

Eingangstor

Mauern

Mauern


Schon leichter die Imagination bei den halbplastischen Stier- und Greifen- und Löwendarstellungen an den Wänden. Die Erinnerung trägt einen nach Berlin auf die Museumsinsel, wo sie einem von glasierten Ziegeln entgegenleuchten. Und im Südpalast steht man in der nach oben offenen Riesenhalle des Königs Nebukadnezar II., glaubt seinen Sohn Belsazar beim wüsten Gelage zu sehen und zu hören, wie er trunken losbrüllt, einen aus dem Tempel zu Jerusalem geraubten Goldpokal voll schwerem Wein in der erhobenen Faust: „Jehova, dir künd ich auf ewig Hohn, – ich bin der König von Babylon!“

Kann man sich die Aktualität noch besser klarmachen als mit diesem lauthals deklamierten Vers Heinrich Heines? Daß die Schrift an der Wand nicht erscheint, was macht das schon? Auch ohne Menetekel wissen wir, daß Belsazar noch in derselben Nacht von seinen eigenen Leuten umgebracht worden ist. Aber dieser Spruch Heinrich Heines verrät das unübertreffliche Einfühlungsvermögen des Dichters. Wie viele Bilder des irakischen Staatschefs Saddam Hussein haben wir in den letzten Tagen gesehen. Auch mit stolz erhobener Faust, in der er ein Gewehr hochreckt. Und einen seiner neuesten Paläste hat er gleich neben den Ruinen von Babylon auf einen eigens dafür aufgeschütteten Berg bauen lassen: Ich bin der König von Babylon?

Einer der Saddam-Hussein-Palste

Einer der Saddam-Hussein-Palste

Bei allem tagtäglichen Gerede über die Notwendigkeit der Beseitigung dieses Regimes sollte nicht übersehen werden, daß es letztlich um Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Israelis geht und daß dieser Streit der semitischen Brüder schon gut dreitausend Jahre alt ist. Stets ging es um das knappe Wasser und um die knappen Weideflächen. Heute geht es immer noch um das Wasser, doch statt um Grasflächen geht es heute um Touristenattraktionen, die abgeweidet werden. Einmal wurden die Juden in die babylonische Gefangenschaft geführt und ihrer Tempelschätze beraubt, einmal haben sie sich ihr Land von den Arabern genommen, einmal wurde ihr Gebiet mit Skud-Raketen beschossen. Lange Zeit waren die Araber die verachtete arme Verwandtschaft. Doch als sie durch Öl reich wurden, als sie sich anschickten, Israel als die Führungsmacht in der Region abzulösen, wurde nach dem Weltpolizisten gerufen. Man wird genau hinschauen müssen, ob der Sheriff  bei seinem Eingreifen schonend mit den verbliebenen Zeugnissen der Weltkultur umgeht oder ob hier die eine große Vergangenheit zugunsten der anderen großen Vergangenheit zerstört wird.


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