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Al Ameriya Shelter

So die offizielle irakische Bezeichnung der Bunkerruine. Wenn man böswillig wäre, würde man sagen: Zum Pflichtprogramm einer Besuchergruppe im Irak gehört der Besuch des Bunkers, der im Kuwaitkrieg über 400 Frauen und Kindern zur Todesfalle wurde. Heute ein pompöses Memorial mit angeschlossenem Museum und mit einer großen Uhr als Denkmal, die genau die Uhrzeit anzeigt, als die Bombe fiel, die die 2 Meter dicke Betondecke durchschlagen hat. Kurz vor halb vier am Morgen. Eine zweite Bombe fiel sofort anschließend in den Bunker, per Selbststeuerung durch das große Loch in der Decke geführt, das die erste geschaffen hatte. Und diese zweite Bombe löste einen Feuersturm aus, dem niemand entrinnen konnte. Die Opfer sind meist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, nur noch wenige Leichen konnten geborgen werden. Aber an den Wänden und auf dem Betonboden kann man heute noch die schwärzlichen Flächen sehen, wo die Menschen in den Beton eingebrannt sind. Der Bunker war nur für junge Frauen und ihre Kinder vorgesehen. Ein einziger Mann unter den Opfern und eine alte Frau, der man den Zutritt erlaubt hatte. Da steht man in dem nach oben geöffneten Bunker vor dem Drei-Meter-Loch, sieht das Gewirr von Moniereisen und Betonbrocken und fragt sich, ob man den Begriff der intelligenten Bomben so ohne weiteres übernehmen kann. Man sieht den Vertreter des Unternehmens, das die Bomben hergestellt hat, mit seinen Kunden sprechen, sieht ihn mit Text- und Bildfolien hantieren. Natrlich hat er die Bilder dieses Ereignisses in seinem Musterkoffer. Ein schlagendes Argument für die Überlegenheit der Produkte seines Arbeitgebers. Ich musste mich ablenken. Im Museum, das man neben den Bunker gebaut hat, sind die Fotos der Opfer zu sehen. Junge Frauen mit diesen angestrengten Gesichtern der emanzipierten Familienchefin und Kinder mit diesen offen vertrauensvollen Blicken ins Leben. Lauter aus dem Leben Genommene. Diese Kinder haben sich in der Obhut ihrer Mütter sicher gefühlt. Aber in dem Moment der Zerstörung des Bunkers konnte Mutterliebe ihnen nicht mehr helfen. In den Ausstellungsvitrinen Schulhefte und Kleidungsstücke und Spielzeug, das die Familien dem Museum überlassen haben. Die bunten Relikte machen die schwarzen Schatten auf den Böden und an den Wänden des zerstörten Bunkers erst recht grauenvoll.
Die Führerin sprach ein gutes Englisch. Und sie wunderte sich, dass ich ins Gästebuch auf Deutsch geschrieben hatte: „Wieder so ein Erlebnis, bei dem man sich schämt, ein Mensch zu sein.“ Ich erklärte ihr auf Englisch, dass ich es schrecklich finde, mit welcher Selbstverständlichkeit die Iraker die Amerikaner als den großen Teufel bezeichnen, gleichzeitig aber die Sprache des Teufels sprechen. überall im Irak alles zweisprachig, alles in Irakisch und Englisch. „Damit schlagen Sie sich auf die Seite derer, die Ihnen dieses Leid angetan haben. Denn Sprache“, habe ich ihr zu erklären versucht, „ist mehr als ein bloßes Transportmittel für Aussagen, Sprache ist die Übernahme der Kultur des jeweiligen Landes und auch seiner Unkultur.“ Da hat die hübsche und modern aufgemachte Frau mich nur noch groß angeschaut. Ich kam für sie von einem anderen Stern.

Im Saddam Medical Center

Vor dem Eingang des weiträumigen Klinikkomplexes hängt ein großes Transparent, ein überlanges Krankenhausbettuch, das darauf aufmerksam macht, dass ein Kriegsverbrechen begeht, wer dieses Krankenhaus bombardiert.

 Medical Center

Beim Laufen durch die langen Gänge immer mal wieder eine Uhr an der Wand, doch jede zeigt eine andere Zeit. In der kleinen Kaffeeküche riecht es nach Gas, in einem Büro arbeitet eine Schwester an einer uralten Schreibmaschine. Jedoch keine Patientenbetten mit Infusionsgalgen auf den Fluren, wie in unseren Kliniken üblich. Ein paar Zimmer mit Kindern am Tropf, die nicht allein sind. Mütter schneiden aus Buntpapier Figuren aus, spielen mit ihren Zöglingen. Eine Oma mit für uns erscheckenden Schmuckttowierungen im Gesicht, viele dunkle Striche und kleine Dreiecke, schaut uns voller Vertrauen an, obwohl wir nichts zu bieten haben außer Freundlichkeit und für jedes Kind ein kleines weißes Stoffpppchen. Schon mehrfach gesehen, diesen Gesichtsschmuck. Er zeigt, wie schnell die Entwicklung dieses Landes vor sich gegangen ist. Aus der primitiven Clan-Gesellschaft hat sich in wenigen Jahrzehnten ein moderner Staat geformt. Wir haben zwar eine Menge Medikamente dabei, doch die Leitung der Klinik lässt uns sagen: Keine Medizin übergeben! So begeistert man überall von den deutschen Besuchern ist, es gibt offenbar strenge Anweisungen, die Anschläge verhindern sollen. Oder geht es nur darum, dass die Leute die fremden Medizinpackungen nicht lesen können und die Medikamente deshalb falsch einsetzen?

Im Kulturzentrum Hikma

Das Zentrum ist in einem schönen alten Palast untergebracht, den der Kalif Harun al-Rashid für eine seiner Töchter gebaut haben soll. Ein Wissenschaftszentrum, so erfahren wir, in dem neun Disziplinen zusammengefasst sind. Jetzt sitzen uns 6 Herren und eine Dame von der Leitung gegenüber. Ein langes Gespräch, natürlich wieder in der Sprache des Feindes. Das ist auch die erste Fremdsprache, die die Schüler in den Schulen lernen, die zweite ist Französisch, kommt die arglose Auskunft. Die deutsche Kulturpolitik ist hier nicht spürbar. Dafür ist um so erstaunlicher, mit welcher Geduld diese Wissenschaftler uns erklären, was sie an Seminaren und Symposien durchführen, was sie an Publikationen herausgeben. Man sitzt und sitzt und unterhält sich freundlich, natürlich bei dem obligaten Tässchen stark gezuckerten Tee, schließlich wird uns auch noch der Internet-Raum vorgeführt. Bestens bestückt. Seit gut einem Jahr ist der Internetzugang im Irak für jedermann erlaubt, er muss ihn sich nur leisten können. Schon gibt es in der Vier-Millionen-Stadt Bagdad Internet-Cafés. Und die Wissenschaftler erklären voller Stolz, dass sie ohne jede Behinderung weltweit mit den Kollegen ihrer Disziplin zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen austauschen. Und wie Wissenschaftler so sind, brauchen sie für jede Erklärung viele Worte und viel Zeit. Dabei kann ich mir vorstellen, unter welchem Zeitdruck diese Leute stehen. Immerhin ist der Verteidigungszustand ausgerufen. Da hätten sie zuhause sicher Wichtigeres zu tun. Es gilt Vorräte anzulegen und den Keller für einen lngeren Aufenthalt vorzubereiten. Denn so entschieden die Amerikaner ihren Angriffswillen betonen, so entschieden zeigt sich die Regierung des Irak zur Verteidigung entschlossen. Eine große Militärparade hat gestern gezeigt, wie stark das Land sich fühlt. Besonders eindrucksvoll die Beduinentruppen in ihren phantastischen Gewändern. Da stoßen verschiedene Welten und Zeitalter zusammen. Plötzlich sind überall in der Stadt kleine Maschinengewehrnester zu sehen. Sandsäcke bieten einen erschreckenden Kontrast zu den prächtigen Gebäuden, zu den bombastischen Torbögen und Riesengedenkstätten, den langen, liebevoll gestalteten Mauern um die offiziellen Gebäude und Hotels, zu den Palmen und Eukalypten, zu den breiten Boulevards und Brücken, auf denen ständig Männer mit dem Kehrbesen beschäftigt sind, und auch zu den modernen Wohnhochhäusern mit aufwendig aufgelockerten Fassaden voller Balkons. Plattenbauten können gut aussehen, lernt man hier. Dass die Wohnhochhäuser in der Stadtmitte zwischen den Ministerien stehen, hat vermutlich nicht nur den Grund, dass man den Angestellten lange Wege ersparen wollte.
Während weiter von wissenschaftlichen Symposien die Rede ist, schweifen die Gedanken ab zu den Radfahrern, die man plötzlich vermehrt auf den Straßen sieht. Man stellt sich auf ein Verkehrsmittel um, heißt es, das auch dann noch fährt, wenn der Sprit knapp werden sollte. Und wer hatte davon erzählt, dass immer mehr Leute mitten in der Großstadt hinterm Haus Brunnen bohren? Schon sinnvoll, weil die Wasserversorgung der Stadt elektrisch gesteuert wird, so dass es keinen Tropfen Wasser mehr gibt, sobald bei einem Angriff der Strom ausfällt. Nur dumm, dass die Leute beim Bohren nach Wasser trotz ihrer simplen Werkzeuge plötzlich auf Öl stoßen. Das Öl ist das Glück und das Pech des Irak. Es hat ihn reich gemacht, hat aber auch die Begehrlichkeit anderer geweckt.

Das Victory-Museum

Es steht als eine überdimensionierte Normaluhr mitten in einem schönen großen Park. Man hatte offensichtlich unbegrenzt Platz und Geld. So entstanden unter der Normaluhr, die merkwürdigerweise nicht richtig geht, hallenartige Gebilde, die eine illustre Leere ausstrahlen. Man sollte den Namen des Gebäudes wohl nicht wörtlich nehmen, in Wahrheit nämlich ist es ein Saddam-Hussein-Museum. Auf Stellwänden sind die Fotos seiner gesamten Biographie aufgereiht, vom kleinen Bauernbuben bis zum großen Diktator. An der Front in Kampfuniform, beim Kleine-Mädchen-Hätscheln in Zivil. Und in Vitrinen liegen Schriften, die ihn als Autor nennen. Politische Traktate aller Formate, in jeder Vitrine in einer anderen Sprache. In der deutschen Vitrine sind die eindrucksvollsten Schriften zwei Veröffentlichungen im Buchformat. Band 1 heißt „Der Sozialismus“, Band 2 heißt „Die Demokratie“. Band 3 habe ich nicht gefunden, den Titel „Der große Diktator“ gibt es hier nicht. Beim Ausgang noch schnell ein Blick auf die Wand mit den Uhren der Weltmetropolen. Selbstverstndlich neben arabischen Städten auch Washington und London und Paris und Rom, aber Berlin fehlt. Immerhin kennt man neben den Luxuskarossen von Mercedes und BMW auch den Namen Schröder und ein paar deutsche Fußballvereine und ihre ausländischen Stars.

Im Bagdad College of Economic Sciences

Das College gehört zur Universitt von Bagdad heißt es in professoralem Stolz. Im übrigen wird der am Vortag gefeierte Internationale Frauentag der Vereinten Nationen glaubhaft. Wie die Studentinnen mit den Studenten zusammensitzen, im Arbeitsraum und auf dem Campus, wie man in der Mensa gemeinsam den Geburtstag einer Studentin feiert, mit dem obligaten Kuchen, kerzengeschmückt, wie man den fremden Besucher begeistert einlädt, das ist das Leben in einem modernen Land.

College

College

Hier gibt es keine verschleierten Frauen, und nur wenige Mädchen tragen ein Kopftuch. „Jedem freigestellt“, erklärte der Dekan, „damit haben wir keine Probleme. Schon mehr mit der Schuluniform, die von manchen nicht gern getragen wird. Da muss es immer wieder Ermahnungen geben.“ Das College ist eine private Hochschule. Die Studenten zahlen 100 Dollar Studiengebhren im Jahr. Nach vier Jahren haben sie den Bachelorgrad erreicht. Dann können sie in den Beruf gehen oder weiter studieren, um zu promovieren. Oder sie bleiben zunächst arbeitslos. Denn der durch das Wirtschaftsembargo abgewürgte Staat leidet neuerdings unter einer hohen Arbeitslosigkeit. Der Dekan wurde von seiner Frau abgeholt, einer Deutschen. Die Erklärung dafür: Er hat in Bagdad und zu DDR-Zeiten in Rostock studiert. Jetzt haben sie vier große Töchter. Er spricht von dem kulturellen Leben, das in schönster Blüte steht. Eine richtige Renaissance in der Musik, der Dichtung und Malerei sei das. Und sogar die verschiedenen christlichen Kirchen, die es in der Stadt gibt, seien Sonntag für Sonntag so gut besucht, dass man keinen Sitzplatz mehr findet. Mit Stolz führt er uns durch die Unterrichtsräume, jeder mit mindestens zehn Computern ausgestattet, alles brandneu. Und nach jedem Arbeitsgang kommen die Plastikhauben wieder drüber. „Damit die Geräte länger halten“, sagt er. Der Besucher verschweigt seine Bedenken. Ist doch nicht sicher, ob diese Computer, ja, ob überhaupt irgendwas von diesen Gebäuden in ein, zwei Wochen noch existieren wird. Und wenn er daran denkt, dass diese so freundlich grüßenden jungen Menschen, die strahlend schönen Gesichter schon in wenigen Tagen oder Wochen ausgelöscht sein sollen, wie die amerikanische Regierung es leichthin in Kauf nimmt, packt ihn Entsetzen und Verzweiflung ob der Wehrlosigkeit gegenber der Arroganz der Mächtigen.


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