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Der Brummkreisel

Mittwoch der 5. März 2003.

Auch ich im Hotel Al Rasheed, in dieser Bettenburg für ausländische Frontberichterstatter.
Eine riesige Halle, ein riesiger Restauranttrakt, die Rezeption an drei langen Theken, sechs Aufzüge zu den 14 Stockwerken. Eine moderne Variante des Turms zu Babel. Denn hier spricht jeder eine andere Sprache. Und man spricht mit dem Personal und untereinander Englisch.


Blick aus dem 9. Stock des Hotels Al Rasheed in Richtung Tigris

Blick aus dem 9. Stock des Hotels Al Rasheed in Richtung Tigris

Blick aus dem 9. Stock des Hotels Al Rasheed in Richtung Tigris

Blick aus dem 9. Stock des Hotels Al Rasheed in Richtung Tigris

Wer hier herumläuft, hat eine schwere Videokamera geschultert oder wenigstens ein Stativ. Alles andere sind Leute von der schreibenden Clique. Sie weisen sich dadurch aus, daß sie ein handtellergroßes Schild auf der Brust baumeln lassen, das sie in Farbe und mit Foto als akkreditierte Journalisten ausweist. Ich habe nichts auf der Schulter und nichts auf der Brust. 39 deutsche Journalisten sollen im Moment hier herumwedeln, dazu ein deutscher Schriftsteller.

Dabei hat jeder zunächst nur mit sich selbst zu kämpfen. Mit seinen Gelüsten beim reichhaltigen Frühstücksbuffet und bei allen anderen Mahlzeiten, die er einnehmen kann, wann immer er gerade Zeit dazu findet. 24-Stunden-Service. Doch die Rache Montezumas verfolgt einen schon am zweiten Tag, selbst wenn man sich mit Säften und Salat und frischem Obst eisern zurückgehalten hat. Also nur Kartoffeln und Brot und Eier und Spaghetti und eingepackten mitteleuropäischen Käse essen. Mineralwasser zum Trinken und Zähneputzen ist reichlich vorhanden. Und alles im Preis inbegriffen, besser gesagt, es hat das alles keinen Preis. Denn wir bekommen von den vielen herumtänzelnden Kellnern immer nur die Damenkarte gereicht – ohne Preisangaben. Dafür zweisprachig, in Arabisch und Englisch.

Gestern war für die Araber Neujahr, heute wird wieder gearbeitet. Den Unterschied sieht man in der Stadt. Denn ab heute stehen an allen wichtigeren Straßenecken Soldaten unterm Stahlhelm mit Tarnüberzug und der Kalaschnikow im Arm. So prompt der kundige Kommentar eines Journalisten. Ein anderer sagt, daß er Freitag heimfliegt, weil nach seiner Erfahrung in den letzten Tagen vor Ausbruch der Kämpfe ein Wettrennen um Plätze in den letzten Fliegern und in den Taxen stattfindet, bei dem man horrende Summen zahlen muß, in Dollar, um überhaupt eine Chance zu haben. Und keine Versicherung zahlt jetzt mehr, weil die deutsche Botschaft die dringende Aufforderung zum Verlassen des Landes ausgesprochen hat. Mein Rückflug soll kurz nach Mitternacht in der Nacht auf Montag stattfinden. Wenn ich noch rechtzeitig von Basrah zurückkomme, wo ich mit der Delegation am Samstag und Sonntag sein werden. Die deutsche Botschaft schafft die letzten Deutschen am Montag im Konvoi über die Grenze außer Landes, geht das Gerücht. über welche Grenze, weiß niemand. Nach Jordanien oder nach Iran? Zur Vorsicht haben wir uns dafür angemeldet.

So bleibt mir noch Zeit, mich in der Stadt Bagdad umzuschauen und die Journalisten zu betrachten, die sich mit immer neuen Gerüchten auf Trab halten, dazwischen aber mit politischen Witzen ihre Coolheit demonstrieren. Einer hat seinen Fotoapparat im Taxi liegengelassen, doch sie kommt zuverlässig am nächsten Tag ins Hotel. Die Iraker sind so was von freundlich, daß ich bei jedem nur den einen Gedanken habe: Hoffentlich überlebt er die nächsten Wochen. Einer von den rasenden Reportern läßt sein Portemonnaie im Frühstücksraum auf dem Sitz liegen. Einer hat die Sonnenbrille im Nacken und sucht sie in allen Taschen. Es gibt offensichtlich schon jetzt eine gewisse überforderung. Der kommt man habituell bei oder auch nicht. Zu dem Thema gehören die dicken Zigarren und die Pfeifen, die geschmaucht werden. Da scheint sich ein neues Kennzeichen für den Allerweltsmann herauszubilden. Besonders widerlich im Internet-Café des Hotels, das zum Pressezentrum umfunktioniert ist. Ohne Fenster, voller Qualm und Hitze, und die elf Computer ständig besetzt, da heißt es schon wieder warten. Wir warten doch nur auf den Beginn der Kämpfe, sagt mein Nachbar. Bis dahin herrscht nur noch Langeweile. Denn was man hier an allgemeinen Hintergrundberichten machen kann, das haben wir doch längst alles rübergenudelt. Durchaus glaubhaft. Denn die Tastaturen der Computer sind so abgewetzt, daß nur noch wenige Buchstaben zu lesen sind, und das sind die unwichtigeren. Dazu sind Buchstaben vertauscht, alles eine einzige Sucherei. Zumal jeder die Sprache der Maschine auf seine Sprache eingestellt hat und man zunächst wieder nur ein Babylon-Erlebnis hat. Zum Glück werden neben all den kleinen Alltagsschwierigkeiten nicht nur bedrohliche Dinge kolportiert, es gibt auch Tröstliches. Ein Reporter weiss die Zukunft sonnenklar zu deuten: Wenn Bush losschlägt, wird er abgewählt, sagt er im tiefen Tonfall des Wissenden. Dann ist er nicht mehr immun und wird als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Wir dürfen also noch hoffen.


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