Silvia Bovenschen: Wer Weiß Was

Wer hätte das gedacht

(Silvia Bovenschen: Wer Weiß Was – eine deutliche Mordgeschichte, Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, 333 Seiten, 14.99 Euro)

Das eine jedenfalls wissen wir: Die Zeiten, da der Erfolg eines Buches von seinem Inhalt abhing, sind längst vorbei. Bucherfolge werden heute eiskalt von Marketingstrategen geplant, spezielle Pressekampagnen werden von langer Hand und mit raffiniertem Timing vorbereitet. Wie groß der so erreichte Erfolg eines Buches wird, hängt von der Größe des Etats ab, der den Öffentlichkeitsarbeitern für diesen Titel zur Verfügung gestellt wurde. Von daher ist klar, dass ein kleiner Verlag ohne große Gelder im Rücken keinen großen Bucherfolg erreichen kann. Mit zwei Ausnahmen: Entweder das Buch stammt aus bekannter Feder, gleich woher bekannt, oder es ist das die deutsche Übersetzung eines im Ausland besonders erfolgreichen Buches.

Von daher gesehen hat das neue Buch von Silvia Bovenschen das Zeug zu einem Erfolgsbuch. Denn einerseits steht hinter dem Verlag einer der potenten Medienkonzerne Deutschlands, andererseits ist die Autorin durch vorausgegangene Bücher und Literaturpreise eine bekannte Feder. Bleibt die Frage an das Buch: Wem gibt’s was?

Die ersten fünfzig Seiten, das sind bekanntlich die fürs Lektorat und für die Rezensenten geschriebenen, also wichtigsten Seiten eines Buches, bringen eine Erzähltechnik, die ungewöhnlich ist und der Leserschaft viel zumutet. Das Besondere an dieser Schreibweise ist, dass nahezu jeder Satz gleichzeitig kommentiert wird, entweder mit dem simplen Trick einer Bemerkung in Parenthese, oder mit dem nächsten Satz, der oft als Faust aufs Auge kommt.

Das ist ein bemühtes Anderssein, das manieriert wirkt, dadurch aber zumindest für Lektoren und Rezensenten auch literarisch. Wo der Alltag zugeschüttet ist von allzu viel allzu leicht Lesbarem, wirkt ein Stolperstellentext überlegen. Man muss aber hinnehmen, dass dieser Anfang für Ottilie und Otto Normalverbraucher eine Barriere ist, die verhindert, dass das Buch schon abgegriffen ist, wenn es in den Second Hand Shop gegeben wird. Immerhin entschuldigt die Autorin sich für die Manieriertheit, wo sie über das Schreiben schreibt und lapidar feststellt: „Es gibt in diesem Metier kein stilistisches Laster, das nicht auch zur Tugend werden könnte.“

Wer diese Barriere mit viel Hartnäckigkeit überwindet, findet die allmähliche Rückkehr zu einer beinahe üblichen Erzählweise angenehm. Man kann dann sogar Genuss daran finden, wieder einmal die alte Masche der Versammlung aller Betroffenen (Agatha Christie lässt grüßen) zu erleben. Bei Silvia Bovenschen muss das natürlich etwas ungewöhnlicher klingen:  „… sagte sie randständig in die Versammlung hinein. Zum Erstaunen aller Anwesenden ergriff der Bibliothekar Simon Menzel, der bis zu diesem Zeitpunkt mit steinernem Gesicht, scheinbar unbeteiligt neben Johanna Schwarzenbach gesessen hatte, plötzlich hochgradig erregt das Wort und gab es lange nicht wieder her: „Das war gestern nicht seine Liga. Die Zusammensetzung: zu heterogen. Zu viele verbal wehrhafte Leute …“

Ein weiteres Beispiel für die gestylte Ausdrucksweise der Autorin gefällig? Wo sie die in niederen Adel eingeheiratete Frau Irmgard schildert, heißt es: „Kaum war sie in die Familie derer von Seefeld eingerückt und hatte das >von< in ihrem Namen, mutierte sie zur Turbo-Adligen oder zu dem, was sie dafür hielt … Silberne Messerbänkchen waren das mindeste, was da sofort sein mußte. Und sie hat umgehend angefangen, an der Fassade ihrer Selbstveredelung zu bauen – man könnte aus anderer Perspektive auch sagen: ihre Käfigstäbe zu polieren –, hat gleich versucht, ihre neu erheiratete Nobilität tief in die Historie einzusenken, hat alten Schmuck gekauft und sich damit bekränzt, um den Eindruck einer großmächtigen und weit zurückreichenden Blaublutherkunft zu erzwingen.“

Erntedankfestwürdige Erträge bei der emsigen Bemühung, sich literarisch auszudrücken, kann man der Autorin also nicht absprechen. Oft erinnert ihre Suche nach überraschender Ausdrucksweise an Arno Schmidt. Als ob sie Zugriff auf dessen Zettelkastensammlung der sprachlichen Kuriositäten bekommen hätte. Daneben ist dieses Buch streckenweise ein Essay der Literaturwissenschaftlerin über das Schreiben. Als hätte sie es vor allem für Studenten oder Schreiberlinge geschrieben. Jeder Beruf prägt halt. Jedenfalls kann man ihr bei diesen Äußerungen nur zustimmen. Vor allem auch, wenn der alltägliche Krimi nicht gut wegkommt. Im Buch machen „diese lächerlichen Fernsehkrimis“ eine der Hauptpersonen, den Kriminalhauptkommissar Merker, fertig.

Die Autorin vermeidet die übliche Methode, den Ermittler mit irgendeiner belanglosen Kuriosität zu bekleiden. Er bleibt ein einfacher Mensch. Allerdings bleibt er auch ziemlich blass. Wie überhaupt die Männerfiguren dieses Buches nur blutleere Scherenschnitte sind, während die Frauen mit Herzblut gemalt sind.

Ein schöner Kunstgriff ist das hin und wieder eingeschobene Gespräch von Außerirdischen über das Gewusel auf der Erde. Die ewige Suche der Autoren nach einer zweiten Ebene, um ihre Erzählung selbst kommentieren zu können, hier ist sie erfolgreich. Im Überirdischen tauchen Begriffe auf, die es nicht gibt, auch Phantasie-Bezeichnungen für Handlungen, die uns Menschen nicht möglich sind. Auf diese Weise wird unsere Beschränktheit deutlich gemacht. Die Außerirdischen wundern sich beispielsweise darüber, dass bei den Menschen das Wort >verkopft< negativ aufgeladen ist, und dass die Menschen für das Wort Intuition nicht einmal ein Verb haben.

So schwer es manch einem fallen mag, sich durch dieses Buch zu wühlen, es ist das wie der Weg ins geistige Schlaraffenland, der einem abverlangt, sich durch einen Berg von Hirsebrei durchzufressen. Wer es schafft, bis zu den Seiten zu gelangen, auf denen die Autorin ihr Menschenbild beichtet, der wird glücklich, wenn er liest: Die Menschen „wissen, na ja, sie ahnen – das ist in ihrer Sprache schwer zu fassen – es ist ein unbestimmtes Wissen, eher so etwas wie eine Grundierung –, dass sie nicht viel Zeit haben, und wollen sich in der kurzen Zeit ausdehnen …“

Für die so schwierig zu benennende Grundmotivation alles menschlichen Handelns eine recht gute Definition. Die Autorin hat nicht nur Mut zu ungewöhnlicher Ausdrucksweise, sie hat auch was zu sagen. Doch leider ist sie sehr kurzatmig, als sie endlich wesentlich wird. Sie eilt, als ob es ihr peinlich wäre, kluge Bemerkungen gemacht zu haben, auch Abschweifungen zu aktueller Gesellschaftskritik, zurück zu ihrer Erzählung und zur Schilderung des Happy-Ends. Immerhin: Das Buch ist viel mehr als eine Mordgeschichte. Deshalb hat es verdient, ein Erfolgsbuch zu werden. Wer hätte das gedacht.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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