Madame Bovary

(Madame Bovary, F 1991, 140 Minuten, Regie: Claude Chabrol, nach dem gleichnamigen Roman von Gustave Flaubert)

Nachdem der große Erfolgsroman Flauberts (1821-1880) zwischen 1934 und 1949 bereits viermal verfilmt wurde, und zwar in Frankreich, Deutschland, Argentinien und den USA, muß man sich fragen: Wieso fand ein moderner Filmemacher wie Claude Chabrol es nötig, den Stoff seinen Zeitgenossen noch einmal zu präsentieren? Ist er wirklich so zeitlos gültig?

Dieses Sittenbild aus der Provinz, wie Flauberts es im Untertitel nannte, war 1856 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Revue de Paris“ erschienen, allerdings mit Kürzungen, gegen die der Autor sich erfolglos gewehrt hatte, im folgenden Jahr dann erstmalig komplett als Buchausgabe. Damals war in Frankreich alles, was nicht Paris war, Provinz. Und Provinz haben wir auch heute noch.

Flaubert hatte sich zu diesem Roman, einer Kärrnerarbeit von fünf Jahren, durch einen Zeitungsartikel anregen lassen. Damit stellt dieser Erfolgsroman eine Parallele zu Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ dar. Hat Goethes Bestseller jedoch eine Epidemie an romantisch verklärten Selbstmorden ausgelöst, so ist ähnliches von Flauberts Erfolgsbuch nicht bekannt. Das Sujet eignete sich nicht als Vorbild.

Madame Bovary, die junge und hübsche Ehefrau des fleißigen, aber einfach strukturierten Landarztes Bovary, war unglücklich, weil sie ihre Ansprüche ans Leben und ihre Möglichkeiten nicht ins Gleichgewicht zu bringen verstand. Dabei fehlte es ihr an nichts. Ein treuer, braver Ehemann, der sich liebevoll um sie kümmerte, ein kleinbürgerlicher Wohlstand, ein gesundes Töchterchen, Freunde und Bekannte, alles vorhanden. Dennoch läßt die Frau sich zu Seitensprüngen hinreißen, zu übertriebenem Luxus, zu ablehnender Kälte gegenüber Ehemann und Kind, und schließlich, als ihr die Überschuldung über den Kopf wächst, zum Selbstmord.

Was Flaubert in fein ziselierter Sprache als die Tragödie des Weibes, das nach Leben giert, herausgearbeitet hat, das kann der Film natürlich nicht adäquat bringen. Auch die Verführung der Frau durch Trivialromane bleibt weg. Kein Hinweis darauf, daß Flaubert sich mit der unglücklichen Arztfrau identifizierte, weil sie seinen Haß auf seine Zeitgenossen illustrierte. Statt dessen warf Chabrol sich auf die üppige Ausstattung. Verständlich, muß doch auch ein Altmeister des Kinos darauf achten, seinem Publikum ein großes Erlebnis zu bieten.

Doch kann Ausstattung die fehlende Entlarvung des Allzumenschlichen nicht ersetzen. Dazu hätte ein Drehbuch hergemußt, das diese Aufklärung aus der Sprache von Mitte des 19. Jahrhunderts in die Sprache vom Ende des 20. Jahrhunderts tradiert. Grob skizziert hätte das geheißen: Die Frau als verkörperten Juckreiz darstellen, den Mann als Überdruckventil. Wo beides zueinander findet, ergibt sich eine doppelte Entlastung. Die jedoch nicht, wie die Psychologie meint, notwendig und wohltuend ist, die auch zerstörerisch wirkt. Und das nicht nur in der Provinz. Und nicht nur gestern, sondern auch heute.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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