Herostrat

Immer wieder dasselbe: Wenn ein schreckliches Verbrechen geschehen ist, fragt man querbeet in Presse, Funk und Fernsehen wortreich und gut bebildert, warum der Soundso das getan hat. Und das Warum findet keine Antwort. Da frage ich mich: Ist denn unter den heutigen Journalisten niemand, der einmal den Begriff Herostrat gehört hat? Weiß man nicht mehr, dass ein Mann namens Herostratos im Jahre 356 v. u. Z. den Tempel der Göttin Artemis in Ephesos in Brand gesteckt und damit eines der berühmten Sieben Weltwunder des Altertums vernichtet hat? Erst unter der Folter gab der  Täter das Motiv für diese Untat preis: “Ich wollte meinen Namen auf die Nachwelt bringen, um mich unsterblich zu machen.” Zugegeben, dass man sich heute nicht mehr an Herostratos erinnert, ist für die Leute von Ephesos ein voller Erfolg. Denn das war ihr Urteil über den Brandstifter: “Er soll vergessen sein für alle Zeiten!” Bekanntlich praktizierten schon die alten Juden das Vergessen als die einzig richtige Strafe für Schwerverbrecher. Ihr härtestes Urteil hieß: “Seines Namens soll nicht gedacht werden!” Sie wussten, dass das Ich mit seinem unstillbaren Bedürfnis nach Größe hinter all unserem Handeln steckt. Doch kann man der modernen Presse wohl nicht zumuten, generell keinen Namen und kein Foto von Verbrechern zu bringen, um damit potentiellen Verbrechern die Hoffnung auf Berühmtheit zu nehmen (vgl. Ignoranz, Ich, Ich-Instinkt).

 

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