Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling


(Born, Yeorum, Gaeul, Gyeowool … Geurigo Born, Südkorea/Deutschland 2003, 98 Minuten, Drehbuch und Regie: Kim Ki-duk)

Ein See inmitten einer wilden bewaldeten Berglandschaft, und auf dem See eine schwimmende Insel, ein großes Floß, mit einer Hütte, die das Heiligtum und zugleich das Heim eines alten buddhistischen Mönchs ist. Ein bemaltes Tor am Seeufer, das im Wasser steht, ist der einzige Zugang zu der Insel, die mit einem kleinen Ruderboot erreichbar ist. Ein Junge lebt bei dem Alten, den er nur als Meister anredet. Als er in kindlichem Spiel Tiere quält, bekommt er von seinem Lehrer auf drastische Weise mit einem aufgebundenen schweren Stein eine Lehre fürs Leben verpasst.

Als dem Mönch ein Mädchen gebracht wird, das er von seiner Krankheit heilen soll, ist der Junge schon ein Mann. Natürlich kommen die beiden jungen Menschen im Liebesakt zusammen mit der Folge, dass das Mädchen als geheilt gelten und heimgeschickt werden kann, der junge Mann aber in seiner Verzweiflung bald darauf die Insel verlässt.

Als gereifter Mann, der zum Mörder wurde und von der Polizei gesucht wird, kehrt er zurück. Der alte Mönch schreibt für ihn die Bretter vor der Hütte mit Schriftzeichen voll und zwingt ihn, diese in das Holz einzuschneiden, wobei die Polizisten, die ihn finden, noch helfen. Sie  nehmen den Mörder mit, der Meister verbrennt sich selbst.

Schließlich ist der Mörder, der seine Strafe abgesessen hat, der neue Alte auf der Insel, der als Buße einen schweren Stein auf einen Berg hinaufschleift. Auch zu dem neuen Meister; den Kim Ki-duk selbst spielt, kommt eine Pilgerin mit ihrem Kind, das sie seiner Obhut anvertraut. Die Frau ertrinkt in der Nacht, als sie die Insel verlässt, in einem Loch, das der Meister in das Eis des Sees geschlagen hat. Aus ihrem Kind wird der neue Schüler, der bei seinen Spielen Tiere quält.

Parallelen, die unübersehbar sind. Im Übrigen behilft sich der Film mit Zwischentiteln nach Art des Stummfilms: Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling. Schöne Bilder, himmlische Ruhe, eindrucksvolle Porträts, einiges an Brutalität, aber sehr wenig Worte. Womit die üblichen Schwierigkeiten der Transskription von exotischen Werken vermieden wurden. Doch bleibt natürlich alles, was an Symbolik in den Bildern und sparsamen Handlungen steckt und dem koreanischen Betrachter geläufig ist, dem westlichen Kinobesucher verborgen. Also nur ein halber Genuss. Unvermeidlich. Für diesen Film gab es etliche Filmpreise und die üblichen schwärmerischen Besprechungen in den Zeitungen. Zu Recht?

Der Südkoreaner Kim Ki-Duk hat den Ehrgeiz, das Wissen des Ostens und das des Westens zusammenzubringen und die Gemeinsamkeiten zu erspüren. So hat er selbst es gesagt. Das scheint ihm mit diesem Film auf eine frappierend einfache Weise gelungen zu sein. Er hat die Lebensalter des Menschen, die nach der Lehre des Buddhismus zum Kreislauf des Leidens gehören, mit den vier Jahreszeiten gleichgesetzt, die seit Jahrhunderten zum abendländischen Kunstkanon gehören.

Eigentlich naheliegend. Und doch zeigen sich dabei die Brüche dieses Films. Die Jahreszeiten, so allmählich die Übergänge sind, haben wir im Abendland in die vier Sektoren Frühling, Sommer, Herbst und Winter eingeteilt. Das ist allgemeiner Konsens. So eindeutig sind die Sektoren des Menschenlebens jedoch nicht festgelegt. Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter ist eine mögliche Kategorisierung. Eine andere heißt einfach: Jung und alt. Wieder eine andere sagt: Aufstieg, Gipfelleben und Abstieg. Oder ist es eher richtig zu sagen: Kindheit, Jugend, Erwachsensein, Alter und Greisentum?

Für uns Abendländer ist das Leben etwas Einmaliges. Jeder war nicht, ist angekommen, lebt, verschwindet und ist wieder nicht. Dagegen ist das Leben in der Vorstellung des buddhistischen Morgenländers ein Teilstück des ewigen Kreislaufs des Leidens, in dem wir uns abstrampeln, bis unser Kreislauf irgendwann in der Zukunft, so darf man hoffen, in den Zustand des Nirvana einmündet.

Kim Ki-Duk ist Buddhist. Verständlich deshalb, dass für ihn der Frühling mit seinem Erblühen nicht Aufbruch, nicht Hoffnung und freudige Erwartung ist. Wie für ihn der Herbst nicht Vollendung und Ernte ist, der Sommer nicht die Erfüllung und der Winter nicht der Schlaf der Erholung. Für den Buddhisten und damit auch für den Filmemacher Kim Ki-Duk ist der Gang durchs Jahr nur eine Folge von wenigen Momentaufnahmen des ewigen Rennens im Laufrad des Lebens, mit dem wir es weiterdrehen, jeder von uns.

Das erklärt, warum dieser Film zwar mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen erfreut, ansonsten aber nichts Erfreuliches bringt, einfach nicht bringen kann. Nichts mit Aufbruch, mit Hoffnung und freudiger Erwartung, nichts mit Erfüllung und auch keinerlei Erholung. Selbst die Liebe der jungen Menschen ist so nackt, gewaltsam und belanglos, wie bei Tieren. Damit bleibt der Buddhismus für den westlichen Betrachter des Films so kalt und steinern, wie die Buddhafigur, die der junge Inselflüchtling in seinen Rucksack gesteckt hatte. Wenn wenigstens die Zeichen, die der weise Alte auf die Bretter vor der Hütte gemalt hat und die sein ehemaliger Schüler ins Holz einschneiden muss, angeblich Zitate aus dem Diamant-Sutra, für den nichtkoreanischen Kinogänger übersetzt worden wären, dann hätte man vielleicht mehr zu diesem Film sagen können als: Grandiose Landschaft und anrührende Porträts bedauernswerter Mitmenschen!

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de/category/filmbesprechungen/)

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