Effi Briest

(Effi Briest, D 2009, 118 Minuten, Regie: Hermine Huntgeburth, Drehbuch: Volker Einrauch nach dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane)

Was treibt eine moderne Frau dazu, eine Filmemacherin des Jahrgangs 1957, im Jahre 2009 ein über hundert Jahre altes Familiendrama zu einem fast zwei Stunden langen Spielfilm zu machen? Und das nach den bereits vorhandenen vier Verfilmungen dieses Romans unter den Titeln „Der Schritt vom Wege“ im Jahre 1939 (Regie: G. Gründgens), „Rosen im Herbst“ im Jahre 1956 (Regie: R. Jugert), „Effi Briest“ im Jahre 1968 (Regie: W. Luderer) und „Fontane Effi Briest“ aus dem Jahre 1974 (Regie: R. W. Fassbinder).

Man sollte meinen, dem guten alten Stück Ehebruchsliteratur von Theodor Fontane (1819-1898) sei damit Genüge getan. Zumal heute der Begriff Ehebruch längst so ungebräuchlich geworden ist, dass man sich schon lächerlich macht, wenn man ihn in den Mund nimmt. Was auch für die Ehrenrettung per Pistolenduell gilt. Bei den Kleidern der Damen und den Uniformen der Herren sowie den Wohnungseinrichtungen lässt man sich den Retro-Look noch gefallen, aber das Bewusstsein lässt man sich nicht gern auf Vorvorgestern zurückdrehen.

Bei seinem Erscheinen war Theodor Fontanes Spätwerk, das zuerst in den Jahren 1894/95 als Fortsetzungsroman in der „Deutschen Rundschau“ abgedruckt wurde, nicht zurückblickend, es war eher vorausblickend. Es führte seinen Zeitgenossen in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts, als man ohnehin vor der Jahrhundertwende zitterte, das unvermeidliche Zerbrechen einer in Förmlichkeiten erstarrten Gesellschaft vor Augen. In Fontanes Roman traten die natürlichen Wünsche ans Leben energisch an gegen ein herzloses Karrieredenken und falsche Rücksichten auf gesellschaftliches Ansehen. Das war die Paraderolle des Schriftstellers: Der Autor als der Anwalt des Menschen.

Auf dem Landgut des Ritterschaftsrats von Briest in Hohen-Cremmen bittet ein Besucher, nämlich der Freiherr von Instetten, überraschend um die Hand der Tochter Effi. Der Mann wird als ein Hoffnungsträger gesehen. Er ist ein korrekter untadeliger Herr, gegen den man nichts sagen kann. Effi ist zwar erst siebzehn, also mehr als zwanzig Jahr jünger als er, und sie ist noch recht kindlich und ohne jede Ahnung, was eine Ehe für sie bedeutet. Aber in kindlichem Gehorsam gegenüber ihren Eltern gibt sie vor dem Altar ihr Jawort. Dabei spielt ihre Mutter eine besondere Rolle, weil sie einmal die ersehnte Frau des Freiherrn war, dann aber den älteren und vermögenderen Herrn von Briest geheiratet hat. Effi zieht mit ihrem Ehemann nach Kessin an der Ostsee, wo er die Stelle eines Landrats versieht. Das langweilige Leben im Abseits wird ihr bald zuwider, zumal ihr Mann viele Pflichten außer Haus wahrnimmt und sich wenig um die Albträume seiner Frau kümmert, die es in dem alten und halbleeren Bau gruselt. Sie bekommt ein Kind, was aber nichts ändert, nur dass sie nun zur Frau gereift ist. Dadurch wird aus einer Begegnung mit dem sportlich-attraktiven Bezirkskommandanten Crampas eine Affäre. Die aber bleibt mehr auf der körperlichen Ebene als auf der seelischen. Und Effi beendet sie nur zu gern, als ihr Mann in eine höhere Stellung beim Ministerium in Berlin berufen wird und damit ein Familienumzug fällig ist. Nur von einem Menschen fällt ihr der Abschied schwer, nämlich von dem alten Apotheker des Ortes. Dass der im Buch und im Film eine tragende Rolle spielt und dazu noch die allersympathischste, erklärt sich natürlich damit, dass Theodor Fontane selbst ursprünglich Apotheker war.

Durch Zufall findet Instetten sechs Jahre später die schwülstigen Briefe, die Crampas in Kessin an Effi geschickt hatte. Er fühlt sich in seiner Ehre verletzt und sieht keinen anderen Ausweg als die Forderung des Gegners zum Duell. Crampas fällt schon beim ersten Schuss. Und Instetten, der glaubt, konsequent sein zu müssen, verstößt seine Frau, der er gleichzeitig das Töchterchen nimmt. Effi wird auch von ihren Eltern verstoßen, die meinen, sich mit Rücksicht auf ihre Reputation den Kontakt mit der Tochter nicht leisten zu können. Und Instetten hat für die Tötung von Crampas eine Haftstrafe von lediglich zwei Wochen zu verbüßen.

Der Film zeigt ein zwar tristes, aber doch Happy End. Womit er sich von dem Roman unterscheidet. Dabei ist eines der wenigen im Film gebrachten Zitate aus dem Roman die abschließende Charakterisierung Instettens durch seine geschiedene Frau, die einsieht, er habe „in allem recht gehandelt … Denn er hatte viel Gutes in seiner Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist.“ Das passt zu der finalen Frage der Frau von Briest, ob Effi „nicht doch vielleicht zu jung war?“ Das heißt, im Film wie im Roman wird zuletzt auf die Umstände abgestellt, nicht auf die Frage von Schuld oder Mitschuld. Dass wir aber nur die Produkte der herrschenden Umstände sind, das ist eine Erklärung, die mehr als vorgestrig ist.

Fontanes Roman „Effi Briest“ war eine besonders ungewöhnliche Form der Anklage. Eine, die im deutschen Kaiserreich, das sich gerade so richtig in die Brust geworfen hatte, als ein Affront empfunden werden musste. Der Dichter zeigte sich damit nicht wieder in der alten Rolle des Kämpfers, der bei der Revolution von 1848 in Berlin mit der Flinte in der Hand als Verteidiger einer Barrikade mitgemacht hatte. Er begründete statt dessen eine neue Art von Roman, den Gesellschaftsroman. Jeden anklagenden Ton vermeidend, schilderte Fontane in gefälligem Plauderstil gesellschaftliche Umstände und die Verstrickung der Menschen in ihnen. Nichts Phantastisches, sondern durchaus Glaubhaftes, das sogar auf einer ganz ähnlich abgelaufenen Ehebruchs- und Duell-Geschichte aus seinem Bekanntenkreis beruhte. Der Film vermeidet den Schluss, den Fontane geschrieben hat, und hält sich an den Ausgang, den die tatsächlichen Geschehnisse hatten. Das kommt uns Heutigen entgegen.

Denn wie Fontane mit Effis Tod „an gebrochenem Herzen“ auf elegante Weise die Frage nach persönlicher Schuld offen lässt, das können wir uns heute nicht mehr leisten. Wir müssen Farbe bekennen. Der Film hat zu vermeiden gewusst, Effi als eine emanzipierte Frau zu zeigen. Mit Recht, weil das ein klarer Anachronismus gewesen wäre. Aber was war die gescheiterte Effi dann? Das sagt der Film uns nicht. Wenn sie aber nur als ein triebgeleitetes kleines Dummerchen gezeigt wird, das auf einen charmanten Galan hereingefallen ist, dann ist das für den Film einer Filmemacherin von heute zu wenig. Deshalb werden wir nur ungern mit der Standard-Redewendung des alten Herrn von Briest abgespeist: „…das ist ein zu weites Feld.“

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.