Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

(The Unbearable Lightness of Being, USA 1988, 166 Minuten, Regie: Philip Kaufman, Drehbuch: Jean-Claude Carrière und Philip Kaufman nach dem gleichnamigen Roman von Milan Kundera)

Den Titel des Films und des Romans, aus dem er entstanden ist, muss man sich langsam auf der Zunge zergehen lassen, um den behaupteten Widersinn zu schmecken, dass Leichtigkeit nicht tragbar sein kann. Mit diesem nachdenklich machenden Titel wie mit der Erzählweise des 1984 im Original erschienenen betont philosophischen Romans  – schon im ersten Satz wird Nietzsche zitiert  – legt der tschechische Autor Milan Kundera, geboren 1929, die Latte so hoch, dass nur Leser, die geistige Höhenflüge gewohnt sind, sie nicht abwerfen. Daraus einen Kinofilm zu machen, war sehr mutig – und musste schief gehen.

Tomas, ein junger Hirnchirurg in Prag wird zu einer dringenden Operation in ein Kurbad in der Provinz geschickt. Teresa, eine sehr junge Serviererin, mit der er dort kurz ins Gespräch kommt, ist so von ihm angetan, dass sie ihn bald darauf in Prag aufsucht und sich ihm an den Hals wirft. Was Tomas nicht unangenehm ist. Er ist gewohnt, auf Frauen sehr anziehend zu wirken, und lässt nichts anbrennen. Die Frau, mit der er in einer lockeren Beziehung zusammenlebt, Sabina, eine junge Malerin, akzeptiert die neue und jüngere Freundin, weil ihr eine Zuschauerin beim Liebesspiel gefallen würde. Doch Teresa hat weitergehende Ambitionen und schafft es im Handumdrehen, Tomas’ Ehefrau zu werden. So wenig die beiden zusammenpassen, auf der Bettebene geht es rund.

Man lebt glücklich und heftig im Prag Mitte der 60er Jahre. Man fühlt sich so frei wie niemand sonst im von der Sowjetunion beherrschten Ostblock. Auch kritische Äußerungen über den großen Bruder in Moskau werden in der Presse veröffentlicht. Sogar der Arzt Tomas versucht sich an einem Artikel über Ödipus, den er entschuldigt. Nicht Ödipus, sondern diejenigen, die für die Verhältnisse verantwortlich waren, so schreibt er, hätten sich die Augen ausstechen sollen. Der Artikel wird veröffentlicht, Tomas ist glücklich.

Doch plötzlich zittern die Kerzen der Gemütlichkeit auf dem Tisch. Und der erschrockene Blick aus dem Fenster zeigt: Russische Panzer rollen durch die Straßen Prags. Menschenmassen gegen Panzer, der Wunsch nach Freiheit verliert gegen den Hegemon Sowjetunion. Man schreibt den August 1968, und man schreibt die Geschichte einer rabiaten Unterdrückung: Der Prager Frühling wird mit Gewalt beendet. Die Malerin Sabina setzt sich sofort in die Schweiz ab. Tomas und Teresa ziehen sich ebenfalls in die Schweiz zurück. Sie finden dort auch Arbeit. Doch Teresa leidet unter Albträumen, die ihr der freizügige Umgang ihres Mannes mit anderen Frauen bereitet. Es zieht sie schon bald in die Heimat zurück. Tomas folgt ihr wie ein Schoßhündchen, dabei hatte er ihr einen Hund als Schmuseobjekt geschenkt.

Beim Grenzübergang zur Tschechoslowakei werden den Heimkehrern die Pässe abgenommen. Und daheim haben sie Schikane zu erwarten. Tomas wird sein Artikel über Ödipus vorgehalten, der die kommunistische Führung beleidigt haben soll. Er verweigert den verlangten Widerruf und darf deshalb nicht mehr als Arzt arbeiten. Teresa darf nicht mehr als Fotografin tätig werden, weil sie Bilder vom Aufstand ins Ausland geschmuggelt hatte. Die beiden schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und ziehen schließlich aufs Land. Sie sterben bei einem Autounfall.

Der alles entscheidende Bruch im Leben von Tomas und Teresa ist die Rückkehr aus der sicheren Schweiz. Für das Zurück in die Unfreiheit bietet der Film keine plausible Begründung. Dabei leistet er sich Überlänge und manche unnötige Länge. Das versucht man wettzumachen mit vielen  Nacktszenen. Die Frauenkörper sind sämtlich schön und wohlgeformt, dennoch ist das eine peinlich übertriebene Konzession an ein Publikum mit einfachen Ansprüchen. Und dabei wird der junge Arzt Tomas, der sein Recht auf Abwechslung beim Genuss von Frauen so selbstverständlich wahrnimmt, nur zu einem komischen Helden. Denn diese Haltung passt nicht zu der Ernsthaftigkeit, die sein Artikel über Ödipus suggerieren sollte. Aus dem jungen Arzt, der seine natürlichen Bedürfnisse bejaht, wird das Portrait eines Mannes, den man früher als Bruder Leichtfuß bezeichnet hätte. Was der Autor Kundera mit der Leichtigkeit des Seins sagen will, wird von den Filmemachern nicht verstanden, erst recht nicht der Zusammenhang mit Nietzsches Behauptung, alles werde sich irgendwann so wiederholen, wie man es schon einmal erlebt hat. So wird das Spektakel um den Prager Aufstand und die Ausmerzung der ersten Freiheitsgefühle im Arbeiterparadies zur komischen Oper. Immerhin gibt einem diese missglückte Literaturverfilmung den nötigen Schub, sich Milan Kunderas Buch vorzunehmen und die Geduld aufzubringen, es zu lesen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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