Der Kongreß tanzt

(Der Kongreß tanzt, D 1931, 95 Minuten, Regie: Erik Charell, Drehbuch: Norbert Falk und Robert Liebmann, Liedertexte: Robert Gilbert, Musik: Werner Richard Heymann)

Nicht nur der 1814 begonnene Wiener Kongreß, um den es hier geht, tanzt, nein, der ganze Film tanzt, und die Zuschauer von 1931, als der Film in die Kinos kam, werden mitgetanzt haben. Zumindest sollten sie das. Denn diese Celluloidoperette mit Starbesetzung und Superausstattung mit ihren Liebesspielen aus der Hauptstadt des Vergnügens wollte die Leute aus der Verzweiflung der Weltwirtschaftskrise herausreißen. Menschen, die Textzeilen wie „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder, das ist zu schön um wahr zu sein“ im Kopf haben und nicht mehr loswerden oder den fröhlichen Seufzer „Das muß ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein“, die sind schon über ihren Alltag hinausgehoben.

Für derartige Überlegenheit war ein Fürst Metternich genau der Richtige als Vorbild. Immer wieder andere Liebeleien und immer erst am späten Vormittag aus dem Bett. Beim Frühstück die Abhöreinrichtung am Ohr, die ihm aus verschiedenen Räumen seines Palastes die kritischen Kommentare zugänglich machte, was ihn köstlich amüsierte. Er war die Spinne im Netz. Spinnen waren seine Lieblingstiere, wie er einmal gestanden hatte. Nur kurze Anweisungen an seinen Geheimsekretär, zu denen es keinen Widerspruch gab. Regieren im Morgenmantel. So muß man leben, dann geht alles wie geschmiert.

Oder wie Zar Alexander von Rußland, dem eine Handschuhmacherin bei seinem feierlichen Einzug in Wien einen Blumenstrauß an den Kopf geworfen hat, was man als Attentat ansah, wofür die Schöne ins Gefängnis kam. Der Zar holt sie da raus und fängt im Heurigenlokal eine Liebschaft mit ihr an, während er sein Double die lästigen und anstrengenden Repräsentationsaufgaben übernehmen läßt. Ja, so muß man leben, dann lösen sich alle Sorgen in Walzerklängen auf.

Das schnöde politische Geschäft kommt nur andeutungsweise ins Spiel: Der alles mit leichter Hand dirigierende österreichische Außenminister Fürst Metternich will von einer Sitzung, in der eine wichtige Entscheidung über den auf Elba gefangen gehaltenen Napoleon Bonaparte fallen soll, den Zaren fernhalten, um seinen Willen durchsetzen zu können. Und beinahe wäre ihm das auch gelungen. Doch dann platzt mitten in die allgemeine Walzerseligkeit die Nachricht herein, daß Napoleon von der Insel geflohen ist und mit ihm zulaufenden Truppen auf Paris zu marschiert. Da ist das Spiel aus. Auch für die schöne Handschuhmacherin, denn der Zar muß sofort zurück nach Rußland.

Für heutige Betrachter ist dieser Streifen kein Mutmacher mehr, sondern eine einzige Belustigung. Wie die schönsten Wiener Lieder sich aus der Handlung ergeben und verselbständigen, das führt uns den Vorläufer des Musicals vor. Und wie Massenszenen den Zuschauer mit einzubeziehen versuchen, daß ist die Steigerung der Möglichkeiten des Theaters, noch nicht aber diese Vergewaltigung à la Hollywood. Wie sich die Schöne gibt, mit diesen übertriebenen Flatterbewegungen, das erinnert uns an die gerade erst vergangene Stummfilmzeit mit ihrer überzogenen Theatralik. Das kleine Herzmündchen statt der heute modischen Riesenlade und die kleinen Brüstchen der Damen statt der perfekt gestylten Silicon-Busen lassen uns über die menschliche Wankelmütigkeit in Sachen Schönheitsideal schmunzeln.

Die Regie hat sich etwas besonders Mutiges einfallen lassen, um den Einbruch der politischen Realität ins schöne Spiel darzustellen: Die Tanzerei versinkt in Wellen, über denen ein eiskalter Vollmond steht. Und dann schiebt sich der dunkle Bug eines Kahns ins Bild, und in diesem Boot steht bedrohlich starr die Silhouette Napoleons. Die schauerliche Reminiszenz an die Fahrt des Fährmanns Charon mit den Toten über den Unterweltsfluß Acheron läßt uns heute lächeln, für den frühen Spielfilm war dieser Schattenriß eine großartige Idee: Das absolute Gegenstück zur Prunkkulisse.

Immerhin hatte der Wiener Kongreß nicht nur negative Folgen, nämlich die Stärkung der restaurativen Kräfte, die Europa um einige Jahrzehnte zurückwarfen, sondern auch ein nachhaltig wirkendes positives Resultat. Der Wiener Walzer, bereits um 1770 aufgekommen, aber lokal begrenzt geblieben, wurde führenden Männern aus allen europäischen Staaten zum großen Erlebnis und damit schlagartig zum internationalen Lieblingstanz. Endlich Schluß mit den lahmen Formationstänzen, endlich ein Paartanz, und das Arm in Arm. Erst der Tango konnte das Vergnügen noch steigern. Aber das war eine andere Zeit, fast hundert Jahre später.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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