Casanovas Rückkehr

(Le Retour de Casanova, F 1992, 93 Minuten, Regie: Edouard Niermans, Drehbuch. Jean-Claude Carrière und Edouard Niermans nach der Erzählung „Casanovas Heimfahrt“ von Arthur Schnitzler)

Casanova, dieses Synonym für Lust und Überlegenheit, in diesem Film dient es zur Illustrierung der Fatalität Alter. Der Venezianer Giacomo Girolamo Casanova (1725-1798), der sich selbst den Adelstitel Chevalier de Seingalt gegeben hat, studierter Theologe und Jurist, Schriftsteller und Diplomat, europaweit bekannt und bewundert als Connaisseur, Spieler, Hasardeur und  Frauenverführer, wird gegen Abend seines abenteuerlichen Lebens gezeigt, ja, erbarmungslos vorgeführt. Als Dreißigjähriger war er in seiner Heimatstadt Venedig wegen Atheismus verurteilt und in die berüchtigten Bleikammern eingesperrt worden, aus denen ihm ein Jahr später auf beinahe unglaubliche Weise die Flucht gelang. Da war er auf dem Höhepunkt seines Ruhms, den er dann auch auszukosten verstand, rund zwanzig Jahre lang.

Der Wiener Erzähler und Dramatiker Arthur Schnitzler (1862-1931) ließ seine Erzählung „Casanovas Heimfahrt“, erschienen 1918, auf der dieser Film basiert, mit den Worten beginnen: „In seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre, als Casanova längst nicht mehr von der Abenteuerlust der Jugend, sondern von der Ruhelosigkeit nahenden Alters durch die Welt gejagt wurde, fühlte er in seiner Seele das Heimweh nach seiner Vaterstadt Venedig so heftig anwachsen, dass er …“

Kurz gesagt: Dass er sich schon auf den Weg nach Venedig machte, darauf vertrauend, dass seine mehrfach an den Hohen Rat der Stadt gerichteten Bittbriefe, man möge ihm die Heimkehr erlauben, endlich positiv beschieden würden. In dieser Wartezeit zeigt ihn der Film. Als einen deutlich gealterten Mann mit grauem Haar, lädierten Gesichtszügen, staksigen, dünnen Beine, in abgetragener, schäbiger Kleidung. Ein Ritter ohne Pferd, der mühsam mit Haltung überspielt, dass er inzwischen mittellos ist und nicht einmal seine Zeche in dem einfachen Gasthof bezahlen kann. Aus dem Partylöwen Casanova ist eine Jammergestalt geworden, eine Art Don Quichotte de la Mancha. Und sein Diener, der sich eifrig und tölpelhaft bemüht, es dem Herrn in Sachen Liebelei gleichzutun, ist ein wahrer Sancho Pansa, der manches Mal Prügel bezieht.

Doch Casanova ist immer noch Casanova genug, sich bei einem freundlichen alten Bekannten, der ihn in sein großes Haus aufnimmt, gleich in dessen Tochter Marcolina zu verlieben. Dabei macht das Mädchen durch seine intensive Beschäftigung mit Büchern, Naturkunde und Astronomie überdeutlich, dass es kein Interesse an einem Abenteuer mit dem abgetakelten Edelmann hat. Was es ihm auch schonungslos ins Gesicht sagt. Und was Casanova umso verbohrter bei seiner Behauptung bleiben lässt, er sei rettungslos in Marcolina verliebt.

In Gesellschaft imponiert und provoziert er durch seinen Kennerblick für heimliche Liebesbeziehungen, die er rücksichtslos offenlegt. Zunächst deckt er das Verhältnis der jungen Frau des alten Gastgebers, des Marquis de Cesi, mit dem Leutnant Lorenzi auf. Dann entlarvt er Lorenzi auch noch als den Liebhaber der Marcolina. Damit macht er sich den jungen Leutnant zum Feind. Beim Kartenspiel verschafft Casanova sich in gewohnter Weise wieder Kapital, diesmal nicht mit seinen Falschspielertrick, sondern mit neu erwachtem Ehrgeiz sogar auf ehrliche Weise. Und gewinnt und gewinnt. Damit ruiniert er den jungen Leutnant. Dessen Verzweiflung nutzt er anschließend aus, als er ihm einen Tausch anbietet: Das im Spiel gewonnene Geld als Geschenk für ihn, wenn er ihm dafür seinen Offiziersmantel und Hut leiht, womit Casanova sich in die Schlafkammer der sehnlichst auf Lorenzi wartenden Marcolina schleichen kann. Dem Leutnant bleibt keine andere Wahl, und Casanova wird im Dunkel der Nacht der Liebhaber der Marcolina.

Am Morgen dann das Erschrecken und die Wut der betrogenen Marcolina. Dem siegreichen Casanova bleibt nur die Flucht. Doch kaum draußen, trifft er auf den Leutnant Lorenzi, der auf ihn gewartet hat und sich mit dem Degen in der Hand für den ihm abgepressten Beischlaf mit seiner Geliebten rächen will. Es kommt zum Zweikampf, obwohl Casanova dem Leutnant anbietet, das Duell zu beenden und in Freundschaft auseinander zu gehen, weil er Lorenzi für zu jung und zu schön zum Sterben hält. Der junge Heißsporn aber, seiner Überlegenheit sicher, weil viel jünger und besser in Übung als sein alter Gegner, verschärft den Kampf und sucht die Entscheidung – und findet den Tod.

Casanova flieht, bis zur Verstörtheit traurig über diesen Erfolg. Er eilt mit seinem Diener in seiner kleinen Kutsche auf schnellstem Wege nach Venedig. Denn gerade hat er aus Venedig den Bescheid bekommen, dass man die Verbannung aufheben wird, wenn er sich der Stadtregierung mit seinen besonderen Fähigkeiten zur Verfügung stellt. Er soll sich als Spitzel in die Kreise von Leuten aufnehmen lassen, die heimliche Aufruhrpläne gegen die Stadtregierung schmieden, und der Regierung Bericht erstatten. Eine Zumutung, doch er hat keine Wahl, er ist auf einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen.

Alles sehr schön filmisch umgesetzt. Allerdings haben die Filmemacher nicht gewagt, das Degengefecht zwischen Casanova und Lorenzi – wie bei Arthur Schnitzler geschildert – in vollkommener Nacktheit ablaufen zu lassen. Dieser Höhepunkt der Erzählung, als Lorenzi sich aus Fairness seiner Kleider entledigte, weil der überstürzt aus dem Bett geflohene Casanova unter dem lose übergeworfenen Mantel nackt war, konnte als Film nicht denselben starken Eindruck hinterlassen, wie die Erzählung, die den inneren Monolog Casanovas beim Fechten bringt: „Eine Fabel ist Jugend und Alter … Bin ich nicht ein Gott? Wir beide nicht Götter? Wer uns jetzt sähe! – Es gäbe Damen, die sich’s was kosten ließen. Die Schneiden bogen sich, die Spitzen flirrten; nach jeder Berührung der Klingen sang es leise in der Morgenluft nach. Ein Kampf? Nein, ein Turnier … Er ist nur jung, ich aber bin Casanova! … Da sank Lorenzi hin, mit einem Stich mitten ins Herz. Der Degen entfiel seiner Hand, er riss die Augen weit auf, wie im höchsten Erstaunen, hob noch einmal das Haupt, seine Lippen verzogen sich schmerzlich, er ließ das Haupt sinken, seine Nasenflügel öffneten sich weit, ein leises Röcheln, er starb.“

Der Film hat sich im Übrigen ziemlich genau an die literarische Vorlage gehalten. Dadurch ist er ein nachdenklich machender Streifen geworden, mit einem tristen Ende statt Happy-End. Für den Kinobesucher war das Gezeigte nicht nur die Agonie eines Helden, es war auch die Agonie der großartigen Serenissima Venedig und die Agonie der dekadenten Gesellschaft des Rokoko. Mit Recht, denn danach kam die Französische Revolution.

Doch bleibt die Frage, ob dieser Film das wahre Bild seines Helden Casanova bringt. Scheint der doch bei allem Gerede von wahnsinniger Liebe für den Kinobesucher eher ein Sexkranker zu sein. Weil wir für alles Übertriebene ein scheinbar passendes Krankheitsbild haben. Dadurch verschwimmt der Wesensunterschied zwischen den beiden großen Frauenhelden Casanova und Don Juan. Wenn Don Juan auch bloß eine fiktive Figur ist, so muss er doch als Gegenstück zu Casanova erkennbar bleiben. Und zwar in dem Sinne, dass Don Juan nur den Wunsch hatte, möglichst viele Frauen zu besiegen, wobei ihm vollkommen gleichgültig war, was danach aus den Frauen wurde. Casanova hingegen hatte den Ehrgeiz, für jede Frau der großartigste Liebhaber zu sein und ihr damit mehr zu geben als sie ihm mit ihrer Hingabe bot. Zudem hat Casanova sich immer wieder bemüht, die Geliebte nachher nicht als die Geschädigte dastehen zu lassen.

Diesen Aspekt hat der Film unterschlagen. Weil Arthur Schnitzler schon nicht daran gedacht hat. Es sei denn, man deutet sich die Trauer, die Casanova bei der Rückkehr nach Venedig zeigt, als Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass dieses Abenteuer auf dem Heimweg mit dem Tod Lorenzis zwei jungen Frauen unwiederbringlich den Liebhaber geraubt hat, was nicht sein Stil war. Um das Phänomen Giacomo Girolamo Casanova zu porträtieren, hätten die Filmemacher sich besser nicht auf Arthur Schnitzler und seine Phantasie verlassen, sondern auf den reichhaltigen Schatz an Liebesabenteuern zurückgegriffen, den Casanova in seiner zehnbändigen Lebensgeschichte hinterlassen hat. Wollten sie jedoch einen Film über das Altern machen, dann muss man ihnen dafür danken, dass sie dieses Phänomen noch recht moderat und unterhaltsam, ja, amüsant dargestellt haben.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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