B. Traven: Das Totenschiff

Ein Schlag ins bronzene Gesicht

(B. Traven: Das Totenschiff, Roman, Büchergilde Gutenberg im Diogenes-Verlag, Zürich 1983, 308 Seiten, 9.90 €)

Es gibt Bücher, die können nicht sterben. Dieser Seemannsroman gehört zu ihnen, obwohl er den Tod schon im Titel trägt, vom Sterben erzählt und von einem Autor geschrieben wurde, von dem man nichts gewiß weiß, außer daß er am 26. März des Jahres 1969 in Mexico City gestorben ist.

Wann und wo der unter dem Namen Bruno Traven und etlichen anderen Pseudonymen schreibende Autor geboren wurde, 1882 in San Francisco oder 1890 in Chicago oder irgendwann und irgendwo sonst, ist nicht festzustellen. Auch nicht, wie er wirklich hieß. Doch nimmt man an, daß er mit dem Mann identisch ist, der unter dem Pseudonym Ret Marut in dem „Neuen Theater-Almanach“ der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger für das Jahr 1908 als Schauspieler und Regisseur am Stadttheater Essen aufgeführt wurde. Dieser Ret Marut engagierte sich politisch und veröffentlichte Kurzgeschichten sowie Erzählungen. Seit 1917 gab er die sozialistisch-anarchistische Zeitschrift „Der Ziegelbrenner“ heraus, die 1921 verboten wurde. Ret Marut war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an den Umtrieben der bayerischen Räteregierung beteiligt, wurde 1919 festgenommen und vor ein Standgericht gestellt. Es drohte ihm die Hinrichtung, doch konnte er entkommen. Es gibt ein Polizeifoto von Ret Marut, das im Dezember 1923 in London aufgenommen worden ist. Seit 1924 schickte er seine auf Deutsch geschriebenen Romane und Erzählungen von seinem Refugium im tropischen Busch Mexikos nahe Tampico nach Deutschland, und zwar an die gerade erst gegründete gewerkschaftliche Buchgemeinschaft Büchergilde Gutenberg. Bei ihr erschien unter dem erfundenen Autorennamen B. Traven neben den Romanen „Die Baumwollpflücker“ und „Der Schatz der Sierra Madre“ sowie diversen weiteren Büchern im Jahre 1926 Travens erfolgreichster Roman „Das Totenschiff“.

Es geht um einen Seemann, der aus New Orleans stammt, aber bei einem Aufenthalt in Antwerpen nicht rechtzeitig aus dem Bett eines Freudenmädchens kommt, deshalb sein Schiff verpaßt und seine gesamte Habe, sein Geld und seine Papiere verliert, damit auch seine Identität und alle Rechte, praktisch sogar sein Lebensrecht. Er wird von jedem Staat, in dem er Fuß zu fassen versucht, in den nächsten abgeschoben. Kein Konsul fühlt sich für ihn zuständig. Schließlich läßt er sich in Barcelona von dem Frachter „Yorikke“ schanghaien. Damit ist er auf einem sogenannten Totenschiff, nach heutiger Diktion einem Seelenverkäufer. Ein total heruntergekommenes Schiff, ein halbes Wrack, nur noch dazu bestimmt, mit einer angeblich wertvollen Ladung und der Mannschaft unterzugehen und dem Eigentümer die Versicherungssumme einzubringen.

Wie der Autor die Odyssee des Staatenlosen schildert, das ist haarsträubend und packend – und dabei auch noch von bleibender Aktualität. Der heutige Leser denkt natürlich sofort an den Nansenpaß. Traven erwähnt dieses Ersatzdokument nicht, weil es dem ehemaligen amerikanischen Seemann nicht zustand. Man kann aber davon ausgehen, daß Travens ergreifende Darstellung des Flüchtlingsloses dazu beigetragen hat, den von dem norwegischen Forscher und Diplomaten Fridtjof Nansen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu einer Institution gemachten Nansenpaß für staatenlose russische und armenische Flüchtlinge nach und nach zu einem Rettungsanker für ehemalige Angehörige vieler anderer Nationen werden zu lassen.

Nicht weniger aktuell dürfte die Schilderung der desolaten und unmenschlichen Verhältnisse an Bord des Totenschiffs sein. Nicht bloß das Fremdsein in der aus Versprengten vieler Nationen zusammengewürfelten Mannschaft, die sich nur  mühsam mit einem Primitiv-Englisch verständigen konnte, ist tagesaktuell. Genauso das der Willkür skrupelloser Chefs ausgelieferte Dasein der Arbeiter an Bord, die keinerlei Rechte einfordern konnten und halbwegs zu Tode geschunden wurden. Bieten doch auch heute die Weltmeere Platz genug zum Ausflaggen und zum Wegtauchen unter verbrieften Konventionen, von Tarifvorschriften und Grundrechten, von Anstand und Menschlichkeit ganz zu schweigen.

Die Drastik der Darstellung in einer der Situation entsprechenden Sprache, auch die Ironie und der wortgewaltige Haß auf die Staatsgewalt, die Bürokratie und den Nationalismus, all das kann man als zeitbedingte Stilelemente abtun. So der Seufzer: „Nur der Mensch, der kleine, der muß das Gesetz achten, der Staat braucht das nicht. Er ist die Allmacht. Der Mensch muß Moral haben, der Staat kennt keine Moral.“ Mit solchen Feststellungen hat der Autor aber leider bis heute recht. Ist der Vorwurf des Staatsterrorismus doch noch so neu, und erst 80 Jahre nach Erscheinen des Buches wird vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erstmalig ein Gerichtsverfahren wegen Kriegsverbrechen gegen einen Staat geführt, nämlich gegen Serbien.

Erstaunlicherweise hat sich der Anarchist und Sozialrevolutionär Traven mit diesem Buch auch schon über die simple Arbeiterverherrlichung seiner Zeit erhoben. Wenn er die Verachtung schildert, mit der jeder auf den unter ihm Stehenden hinabschaut, dann überrascht er uns mit der Erkenntnis: „Niemand versteht es so gut, feine und allerfeinste Rangunterschiede zu machen, wie der Arbeiter.“ Das schlägt Tausenden von romantisch verklärenden Arbeiter- und Bauern-Denkmälern ins steinerne oder bronzene Gesicht. Wie die unter sozialistischer Herrschaft Lebenden erst viel später zu spüren kriegten. Da war auf einmal nicht mehr der Staat der Feind, sondern der Genosse.

Kein Wunder, daß ein Buch wie „Das Totenschiff“ nicht stirbt. Es ist so aktuell wie vor achtzig Jahren. Und spannend ist es natürlich auch.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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