Triptychon

Die drei Bilder des in St. Petersburg lebenden Malers Alexei Kiryanov, Jahrgang 1955, die im Original in meinem Wohnzimmer an der Längswand hängen, sie sind mir erst allmählich deutlich geworden als das

Triptychon meines Lebens

Zuerst war ich Der blaue Narr: Wer dem Frischling ins Gesicht hinein sagen würde, er sehe ganz schön dumm drein, würde von mir was zu hören bekommen. Denn der Junge sieht gerade so in die Welt, so blass und ernst und erwartungsvoll, wie ich es tat. Als Junge. Und auch als junger Mann noch. Im besten Sinne blauäugig. Deswegen steht mir die Zipfelmütze so gut, die an den deutschen Michel erinnert und mir die Ohren zuhalten will. Wenigstens am Sprechen hindert sie mich nicht. Und ich werde sprechen. Demnächst. Der entschlossen geschlossene Mund verspricht es. So sehr ich den Hals strecke, rage ich doch nur soeben über die düstere Umzäunung hinaus, die mir die Welt verstellt. Schmucklos die Kleidung. Unwichtig. Dass die weiße Taube, für mich damals das Symbol des Heiligen Geistes, sich schon von mir abgewandt hatte, und das in vollem Flug, das konnte ich nicht sehen. Vielleicht weil ich schielte? Nein, das ist kein Schielen. Die Augen, sie irritieren, weil sie gleichzeitig dich ansehen und in die Welt hinausschauen. Dabei ist hinter der Bretterwand nur ein schwacher Lichtschein. Uninteressant. Ein Junge, so gierig auf Leben und gleichzeitig so denkversessen, hat die Augen in alle Richtungen stehen. Doch dass es schwierig sein wird, jemals den Sprung über die dunkle Drohwand zu schaffen, das kümmert ihn nicht. Er dreht ihr den Rücken zu.

Dann wurde ich Der bunte Narr: Viel zuviel Aufmachung, sagt ihr, für den Mann im Kirchenfenster? Zugegeben, alles ein bisschen übertrieben. Quer über den gar nicht imponierenden Brustkorb und die hängenden Schultern eine breite protzgoldene Schärpe. Und dann kreuzweise dazu auch noch diese hoffnunggrüne. Dabei sind die Schärpen zwar farbiger, aber doch trister als der glänzende Mann. Immerhin hellen sie sogar in der Nacht die Kerkerwände auf, die den Mann umgeben. Einen großen, in Wohlstandswellen gelegten roten Kragen trägt er um den dünnen Hals. Und darüber noch einen kleineren weißen. Wie eine doppelte Brünne. Das gibt ihm Sicherheit. Und die drei Schellen an der Zipfelhaube geben ihm Bedeutung. Zwei silberne Schellen und eine goldene, die zu den Sternen hinaufstrebt. Also eine Narrenkappe? Unsinn. Drei Schellen, weil die Kappe drei Zipfel hat. Haltet euch doch nicht mit solchen Äußerlichkeiten auf. Selbst Könige trugen den Dreispitz. Seht, wie der Mann in der schmucken Aufmachung, die ihm selber fremd zu sein scheint, an euch vorbeischaut. So nachdenklich. Weil er viel mehr sieht als euch. Denn er ist ganz Aufmerksamkeit, hat die Augenbrauen hochgezogen und schaut auch in der Nacht durch euch hindurch. Und bleibt doch so bemüht ernst dabei. Wenn die hohe Wand hinter ihm auch goldfarben aufleuchtet, im Licht des abnehmenden Mondes werden die düster drohenden Bäume, unter denen er steht, zu Galgen. Nix Kirchenfenster, raunen sie ihm zu, pass auf, du bist dabei, dein Leben zu verlieren. Ja, so war ich als Mann, in dem und dem und dem Zirkus, den man Beruf nannte. Noch dieses Schattenbild meines Ichs zeigt, wie großartig ich war. Und hielt doch immer den Mund.

Und nun bin ich dabei, Der rote Narr zu werden. Und sage zu dem Bild: Wie schaust du mich an, du Narr? So direkt, als ob ich in den Spiegel sähe. Die Arme untätig verschränkt, ja, die Vita contemplativa statt der Vita activa. Im schmucklosen Wams. Endlich wieder zur Schlichtheit zurückgekehrt. Nur eine einzige Schelle an der Zipfelmütze halte ich mir. Sie klingelt zu der Welt hinterm Zaun hinüber, die sich vergebens mit vielen bunten Fähnchen schmückt. Denn da ist die Absperrung im Rücken, wo sie immer war, wenn auch viel niedriger nun, kaum noch ernst zu nehmen. Du fragst, ob dieses Gesicht mit dem überlegenen Lächeln überhaupt irgend etwas ernstnehmen kann. Oh ja, ich bin mir gleich geblieben: Ich nehme mich ernst, nur mich. Dabei die Suchaugen, die Lauschohren, der rüssellang in die Welt hinein gestreckte Hals. Und dieser Mund. Jetzt möchte und jetzt könnte er soviel sagen, doch bleibt er geschlossen. Wer will denn was zu hören kriegen? Also schaut mir in die Augen, Leute, und ihr versteht. Es scheint ja schon hell zu werden hinter der Wand. Oder auch nicht. Egal. Selbst wenn das dreist die Abenddämmerung wäre, was kümmert das mich. Ich kann nur darüber lächeln.