Amos Oz: Wie man Fanatiker kuriert

Wohngemeinschaft Palästina

(Amos Oz: Wie man Fanatiker kuriert, Tübinger Poetik-Dozentur 2002, aus dem Englischen von Julia Ziegler, edition suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004, 110 Seiten, 8,- Euro)

Drei Abende, an denen der israelische Autor seinen Tübinger Zuhörern die Ergänzung zu dem bot, was sie täglich aus Presse, Funk und Fernsehen erfahren mußten. Am dritten Abend hat Oz sich die Zeit geteilt mit dem befreundeten palästinensischen Schriftsteller Izzat Ghazzawi, der auf seine mehr arabisch blumige Weise den Vortrag ergänzte, nämlich aus leidvoller Erfahrung einen nachdenklich machenden Essay über die Möglichkeiten der Dichtung beisteuerte, den der Verlag glücklicherweise dem Buch eingefügt hat.

Amos Oz ist ein großer Erzähler und ein glasklarer Analytiker und dazu ein mitreißender Propagandist. Er brauchte seinen Zuhörern die Hölle nicht zu schildern, um sie auf den Weg des Heils einzuschwören. Insofern hatte er es leichter als ein Savonarola. Aber wie er diesen Weg beschreibt, das ist im besten Sinne savonarolisch. Wie er seine klare Dissidentenhaltung zu der israelischen Politik in Nebenbemerkungen einfließen läßt, wie er mit persönlichen Erfahrungen seine Analysen illustriert, wie er zur Hilfe bei der Scheidung der beiden Völker aufruft, die sich gegenseitig zu viele Märtyrer schaffen, das ist gekonnt. Und es ist ergreifend, weil man versteht: Hier spricht ein echter Friedensaktivist, kein Romantiker, kein Träumer. Er hält allen Fanatikern seine Kernthese entgegen, „daß es sich im Grunde genommen um eine Auseinandersetzung zwischen Recht und Recht handelt, zwischen zwei sehr vehementen, sehr überzeugenden Ansprüchen auf dasselbe kleine Land. Es ist kein religiöser Krieg, kein Krieg der Kulturen, keine Uneinigkeit zwischen zwei Traditionen, sondern ganz einfach ein Disput über Grundbesitz, darüber, wessen Heimat das Land ist. Und ich denke, hier kann eine Lösung gefunden werden.“

Als ich vor einigen Wochen die Grundthesen dieses Buches in einem Vortrag von Amos Oz beim Ovid-Festival in Mangalia an der rumänischen Schwarzmeerküste hörte, war ich einer von denen, die ihm dafür eine begeisterte Ovation boten. Und ich gestand ihm im anschließenden Gespräch am Kaffeetisch meine Freude darüber, daß er den Ovid-Preis 2004 dafür bekommen hat. 

Bei dieser Meinung bleibe ich auch nach der Lektüre dieses Buches. Obwohl sich die Verhältnisse seit den Tübinger Vorlesungen im Januar 2002 wesentlich geändert haben. Die von Oz propagierte Trennung der palästinensischen Araber und der israelischen Juden war in seiner Vorlesung eine gute Idee. Inzwischen hat der von Scharon gebaute angebliche Schutzzaun mit seiner ungerechten Linienführung das Ziehen einer Grenzlinie zu einem überdimensionierten Problem gemacht. Auch daß nicht daran gedacht ist, zwei nebeneinander liegende Staaten zu etablieren, sondern dem einen Staat nur einen Flickenteppich von im israelischen Besatzungsgebiet eingestreuten Inseln sowie Gaza und etwas Westbank zu gewähren, schlägt den Friedensaktivisten um Oz ins Gesicht. Ebenso der neueste statistische Befund, nach dem die arabischen Palästinenser einen weit höheren Vermehrungsindex haben als die jüdischen Israelis, einen erschreckend viel höheren. Das läßt die von Oz ganz selbstverständlich geäußerte Annahme, daß die Palästinenser den kleineren Teil Palästinas bekommen, schon überholt erscheinen. Sein Vergleich mit der Wohnung, die beide Völker nach der Scheidung gemeinsam bewohnen, einfach dem das eine Zimmer geben und dem das andere, ist vielleicht doch zu schön, um wahr werden zu können.

Schade, daß in Mangalia der Kaffee so schnell ausgetrunken war. Amos Oz ist in seiner so furchtlos kritischen wie freundlich verbindlichen Art ein Mann, mit dem man endlose Gespräche führen möchte. Und auch führen kann – man braucht ja nur seine Bücher zu lesen. Etwa dieses schmale How-to-do-Buch. Es ist hinreißend geschrieben und macht noch mehr nachdenklich als die täglichen Blutberichte in Presse, Funk und Fernsehen. Und es ist höchst verdienstvoll, weil es über die Veränderungen der Zeitläufte hinweg Grundsätzliches zu sagen hat, in einer Epoche, da wir durch Fanatismus in vielerlei Gestalt den Eindruck gewinnen, wieder ins Mittelalter zurückgeworfen zu werden. Ist Amos Oz also doch kein Savonarola, vielleicht eher ein später Aufklärer? Es lohnt sich, das selbst herauszufinden.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

 

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