Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Liebeserklärung an eine Königin

(Alan Bennett: Die souveräne Leserin, Erzählung, aus dem Englischen von Ingo Herzke, Wagenbach-Verlag. Berlin 2008, 116 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8031-1254-5)

Ein Buch übers Lesen, das einem so wenig Lesearbeit zumutet, wie es einem viel Vergnügen bietet. Man möchte dem Autor gratulieren zu dieser amüsanten Erzählung, die gekonnt komprimiert daherkommt, ohne jede Redundanz herrlich ironisch und dabei erstaunlich wissend, und das nicht nur soweit es die Literatur Englands und Frankreichs angeht. Andere Literaturen fehlen allerdings fast ganz, die deutsche sogar vollständig, dafür sind Mozart und Beethoven als die deutschen Stimmen erwähnt. Der Engländer Alan Bennet hat ein englisches Buch geschrieben, dabei hat er es geschafft, seiner Königin eine Huldigung darzubieten, die beinahe schon eine Liebeserklärung ist, so tief steigt er in ihr Seelenleben ein.

Er stellt uns die britische Königin als eine Frau vor, die im hohen Alter zufällig zur Büchernärrin wird, was ihre Umgebung nervt. Dass sie dazu von einem Küchenjungen angeregt wurde, der im Handumdrehen ihr literarischer Mentor wird, ist wohl bewußt unrealistisch gehalten, um deutlich zu machen, hier handelt es sich nicht um Hofberichterstattung, sondern um ein Stück fiktionaler Literatur. Die Königin fühlt, wie sie sanft und weise wird, was sie der Literatur verdankt. Dass sie gleichzeitig immer weniger Wert auf die Formalitäten des königlichen Alltags legt, die bisher ihr Leben bestimmt haben, kann man ihr gut nachfühlen – und auch nachsehen. Die Popanze um die Königin herum, im königlichen Großhaushalt wie in der britischen Regierung, werden, weil literarisch unbeleckt, sämtlich zu lächerlichen Figuren. Das aber nicht durch drastische Entlarvung, sondern mit Hilfe des hintergründigen britischen Humors.

Das Ränkespiel wider die Lesemanie, in dessen Mittelpunkt die ahnungslose Königin steht, wird en passant entdeckt. Für den Leser, der damit Kenntnisse bekommt, die der Königin noch vorenthalten sind, ist das gleichzeitig der Beweis der Kernaussage des Buches, nämlich dass sich das Lesen lohnt. Die Königin kommt erst spät dahinter, wie sie gegängelt und betrogen wurde. Dann aber schlägt sie schonungslos zurück.

Als die Königin glaubt, es sei nur konsequent, übers Lesen hinauszusteigen und die Autoren kennenzulernen, und das in zwangloser Atmosphäre, erlebt sie eine herbe Enttäuschung. Bennett schreibt: „Schriftstellern, so war ihr bald klar, begegnete man am besten auf den Seiten ihrer Bücher, und sie waren ebenso sehr Phantasiefiguren ihrer Leser wie ihre Romanhelden. Und sie fanden anscheinend auch gar nicht, dass man ihnen mit dem Lesen ihrer Werke einen Gefallen getan hatte. Vielmehr hatten sie einem den Gefallen getan, sie zu schreiben.“

Als sich die Lesebegeisterung der Königin zu der sie quälenden Frage entwickelt, ob sie nicht selbst schreiben müsste, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen, bringt der Autor die nächste Drehung der Schraube, die auf unspektakuläre Weise eine permanente Spannung schafft. Und mit dem Knalleffekt im letzten Satz des schmalen Buches macht er die Erzählung schon fast zu einer etwas größeren Kurzgeschichte.

Resümee: Ein vom Verlag sehr edel aufgemachtes Buch, in dem jeder Satz ein Genuß ist. Und der deutsche Titel ist dem Originaltitel „The Uncommon Reader“ erfreulicherweise haushoch überlegen, weil er das doppelsinnige Wort souverän dem belanglosen Wort ungewöhnlich vorzieht.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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