879. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Der begehrteste Preis der Automobilindustrie wurde jetzt in Genf verliehen: Der Kia EV 6 wurde zum Auto des Jahres 2022 gekürt. Ein südkoreanisches Elektroauto. In der Schlusskonkurrenz standen sieben Wagen, bis auf einen alle vollelektrisch. Darunter war kein Wagen aus Deutschland und Japan, obwohl beide Länder mit ihren auf dem Weltmarkt führenden Produkten an dem Wettbewerb teilgenommen hatten. Das zeigt, die Entscheidungen der Juroren sind auf diesem Markt genauso undurchsichtig und fragwürdig wie auf manch  anderen Gebieten.

 

Als man unsere Städte autogerecht gemacht hat, wurden überall teure Unterführungen für Fußgänger gebaut. Mit Rolltreppen und Läden und Lokalen. Doch entwickelte sich die schöne Unterwelt meistens zu einem Anziehungspunkt für Kriminelle und zum Schmutzloch. Jetzt wird sie mit viel Aufwand zurückgebaut, das heißt zugeschüttet. Die Überlegung, es umgekehrt zu machen, den Autoverkehr unterirdisch und die Fußgänger oben, war den Stadtvätern (m, w, d) damals überhaupt nicht gekommen. Das beweist wieder einmal: Das Wort Verwaltung trägt mit Recht die generell in Frage stellende Vorsilbe Ver.

 

Selbst in renommierten Zeitungen kommt bei jedem stärkeren Ausschlag der Kurse an den Aktienbörsen nach unten das Gerede vom Absturz und Desaster, vom schweren Schlag, von herben Verlusten und vom Schwarzen Freitag oder Schwarzen Montag. Dabei wissen die Journalisten oder sollten es zumindest wissen, dass jede Aktie, die ein Verkäufer – mit einem weinenden Auge – zu einem von der Börse herabgesetzten Kurs verkauft, von einem Käufer – mit einem lachenden Auge – als ein Schnäppchen gekauft wird. Deshalb steht jedem Verlust ein gleich hoher Gewinn gegenüber, nur bei einem anderen. Das als Katastrophe auszumalen, nur um die Meldung interessant zu machen, fördert die weit verbreiteten Vorurteile gegenüber der Presse. 

 

Die Leute, die einem begegnen, richtig einzuschätzen, das war schon immer ein Problem. Es gab erfahrene Menschenkenner, wie den Empfangschef eines Top-Hotels, der jeden Besucher mit einem schnellen Blick auf sein Schuhwerk richtig einzuordnen wusste. Das funktioniert heute nicht mehr; dafür gibt es eine neue und bessere Methode: Nur genauer hinschauen auf das, was der Mitmensch in den sozialen Medien von sich gibt. Wenn ein Text mal weniger als drei Rechtschreibfehler pro Satz enthält, kann man erwägen, den Schreiber ernst zu nehmen. 

 

Wegen der angekündigten hundert Milliarden Euro für die Bundeswehr und  weil alle Politiker immer öfter von Milliarden sprechen, habe ich mir schnell noch einmal die Bedeutung der großen Zahlennamen klargemacht: Eine Milliarde sind tausend Millionen, deshalb sind hundert Milliarden schon hunderttausend Millionen, aber erst tausend Milliarden ergeben eine Billion. Soweit alles ganz einfach, wären da nicht die Amerikaner und Engländer mit ihrem eigenen Zählsystem, in dem alles noch viel größer wirkt. Denn unsere Milliarde ist bei ihnen eine billion, und hundert Milliarden sind hundert billions, während unsere Billion dort schon trillion heißt. Aber wegen dieser stärkeren Wirkung der Bezeichnungen allein den Amerikanern und Engländern die Steigerung der Verteidigungsausgaben zu überlassen, nein, das wäre „unfair“.

 

Las beim Frühstück die Zeitung und erfuhr im Feuilleton auf Seite 12 von einer Frau, die sich mit ihrer kleinen Tochter in einem umkämpften Ort der Ostukraine im massiven Betonkeller des Kulturhauses versteckt hält. Sie sei  schon in der Lage, hatte sie per Telefon mitgeteilt, mit den Ohren zu unterscheiden, was feindliche Geschosse sind, die ankommen, und was freundliche, die abgehen. Gleich darunter die Nachricht, dass das Programm für Bayreuth nun stehe. Und noch tiefer darunter die jetzt durch Materialanalyse endlich möglich gewordene Antwort auf die alte Frage, wo die Venus von Willendorf entstanden ist: Wenn nicht in der Nähe des Gardasees, dann im Donezbecken der Ukraine. – Tief sind die Keller unserer Kulturhäuser.

 

Ich freue mich, und ihr könnt euch auch freuen. Denn jetzt ist es da. Mein neues Buch „Gesichter Australiens“. Es schildert meine Erkundung des Landes in immer wieder neuen überraschenden Begegnungen mit den Menschen, die dort leben. Menschen wie ihr und ich, und doch ganz anders, eben australisch. https://www.netzine.de/library/

 

 

 

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