878. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

 

Nachdem völlig neutrale Begriffe wie Eskimo, Indianer und Eingeborener mutwillig zu Schimpfwörtern gemacht wurden, gibt es jetzt ein weiteres Beispiel dafür, wie die überdrehten Sprachpolizisten von heute gerade die Personengruppen verletzen, die sie zu beschützen vorgeben: In der Netz-Ausgabe des Duden steht bei dem Stichwort Jude, das Wort könne als Herabsetzung empfunden werden, weshalb als Ersatz Begriffe wie jüdischer Mensch oder Mensch jüdischen Glaubens vorgeschlagen werden. Jetzt wehren sich die zuständigen jüdischen Institutionen gegen diese Diskriminierung des Wortes Jude, indem sie darauf hinweisen, dass Jude eine neutrale Kategorisierung ist wie Katholik oder Protestant und dass die Einschränkung des Judentums allein auf den Glauben die ethnische Zusammengehörigkeit unterschlägt.

 

Unter der permanenten Dusche der Massenmedien verlieren wir die Fähigkeit, uns anregend zu unterhalten. Da ist nicht einmal die neueste Meldung tröstlich, die darüber aufklärt, dass die Fische durchaus nicht stumm sind, sich vielmehr mit Lauten unterhalten können, die sie durch Kontraktionen der Schwimmblasenmuskeln erzeugen.

 

Die schlimmste Drohung, die uns die Zukunft bringt, heißt Deep Learning. So bezeichnet man die eingebaute Fähigkeit von Maschinen, sich ohne menschliche Mitwirkung selbsttätig zu verbessern und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Das funktioniert schon, und zwar so: Die Maschine extrahiert Muster und Rechenmodelle aus vorhandenem Datenschatz. Die bringt sie mit neuen Daten in Verbindung, so dass ein neuer Kontext entsteht. Auf Basis dieses neuen Kontextes kann die Maschine dann die ihr eingebaute Fähigkeit anwenden, selbständig Entscheidungen zu treffen. Womit wieder Neues entsteht, worüber die Maschine automatisch neue Entscheidungen trifft. Und so Schritt für Schritt immer weiter, irgendwann auch weit über menschliche Möglichkeiten hinaus, und das ohne jede Berücksichtigung von Moralvorstellungen. Dass wir das Künstliche Intelligenz nennen, also hinter einem Euphemismus verbergen, macht die Sache erst recht gefährlich.

 

Blitz und Stern, Propeller, Lilie und dergleichen, sämtlich recht harmlose Markenzeichen für Autos. Aber wenn ich mir die Tiere vor Augen führe, die für Autos herhalten müssen, dann stehen plötzlich Jaguar, Löwe, Adler und Mustang vor mir. Mehr fallen mir zwar im Moment nicht ein, doch auch diese vier Tiere bilden schon eine recht fragwürdige Gruppe. Denn bis auf den Wildling Mustang sind sie alle gefährliche Raubtiere, nur immer auf Beute aus. Da darf man wohl fragen, wer sich mit diesen Tieren identifizieren will. Die Hersteller oder die Käufer?

 

Jetzt haben wir fürs leidige Schuleschwänzen endlich ein feines Fremdwort: Schulabsentismus. Klingt doch viel gebildeter. Also ist die Bildung gerettet. Die Kinder haben den in den Massenmedien gefeierten Erfolgstypen von heute schon abgeguckt: Wenn ich groß rauskommen will, muss ich gleich nach der Einschulung in die Nachwuchsorganisation einer Partei eintreten und da mitreden, mitreden, mitreden, egal was, oder ich muss mich ganz aufs Trainieren verlegen, am besten Fußball oder Tennis, oder ich muss in einem der Kellerstudios Musik, Musik, Musik machen, dass die Wände wackeln. Alles besser als die Schule mit ihrer schrecklichen Lernerei.

 

Nähe und Ferne sind Dimensionen, die in Metern und Kilometern oder Seemeilen ausgedrückt immer ein schlechter Behelf bleiben, weil sie eigentlich in soundsoviel Grad Gefühlsintensität (GGI) angegeben werden müssten. Bedeutet uns doch der Nachbar, der sein vor dem Haus im Sturm von einem umgestürzten Baum platt gemachtes Auto bejammert, weit mehr (wohl 30 GGI) als die zwei Männer, die gleichzeitig in der Ostukraine einem Schusswechsel zum Opfer fielen (vielleicht 15 GGI), erst recht viel mehr als die über hundert Verschütteten des verheerenden Erdrutsches, der aus Brasilien gemeldet wurde (höchstens 10 GGI). Die Ferne beraubt uns der Wärme.

 

Europa steht mal wieder an der Abrisskante eines Krieges, der unser Leben total zu verändern droht. Solch eine Bedrohung habe ich in dem weitgehend auf recherchierten Tatsachen fußenden Roman über die Belagerung Wiens im Jahre 1683 dargestellt. Ob wir aus der Geschichte vielleicht doch einmal was lernen können? https://www.netzine.de/library/walter-laufenberg/die-suenderin-wien-1683/

 

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