871. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Wenn sie hören, man fordere jetzt eine generelle Impfpflicht für das Personal in Kliniken und Heimen, Schulen und Kindergärten, fassen manche Leute sich an den Kopf und fragen: „Ja, gibt es das denn nicht längst?“ Das gibt es natürlich, beispielsweise in Italien und Frankreich. Ist ja auch eine Selbstverständlichkeit, wenn man eine wirklich weitgehende Immunisierung der Gesamtbevölkerung erreichen will. Und bei der Gurtpflicht und Helmpflicht hat man die Erfahrung gemacht, dass man immer auf Verweigerer trifft und deshalb nur gesetzlicher Zwang hilft. Aber bei uns herrscht die Meinung, dass man diese Gruppe der möglicherweise besonders effektiven Virus-Verteiler nicht zum Impfen zwingen darf, da das zu einer Welle von Krankmeldungen und Kündigungen führen könnte, weil unser Sozialsystem eine so viel bequemere Rückzugsmöglichkeit bietet als jedes System der Nachbarn.

 

Messerattacken nehmen dramatisch zu. Die Polizei in NRW tut seit Jahren etwas dagegen: Sie zählt bundeslandweit alle Angriffe mit Messern. Schön, das ist ja was. Aber weil ich ein unbescheidener Mensch bin, frage ich, warum unser Staat nicht das übliche Dämpfungsmittel einsetzt, nämlich eine hohe Steuer auf Messer aller Art. Da käme doch richtig großes Geld rein.

 

In einer Liste der zwanzig größten als Muttersprache und Zweitsprache genutzten Idiome unter den rund 6500 Sprachen der Welt, führen Englisch mit 1,5 Milliarden und das chinesische Mandarin mit 1,3 Milliarden Nutzern die Spitzengruppe an, Koreanisch und Vietnamesisch mit jeweils etwa 85 Millionen Sprechern stehen am Ende dieser Gruppe. Deutsch wird auf 200 Millionen geschätzt und liegt damit im Mittelfeld der Spitzengruppe. Also eigentlich nicht nötig, dass unsere Politiker und Werbeheinis es in dieser peinlich ängstlichen Art zu vermeiden suchen, Wichtiges auf Deutsch zu sagen.

 

Literaturkritiker haben es schwer, denn ein Text lässt sich nicht wie die Lösung einer naturwissenschaftlichen Aufgabe mit richtig oder falsch beurteilen. Deshalb bemüht die Literaturkritik sich seit eh und je darum, neue Kriterien für gute Literatur zu finden, die sich jeweils von den bis dato gebräuchlichen unterscheiden. So wurde aus dem missachteten Anfänger der heute gefeierte Debütant, jung zu sein wurde gut, alt zu sein schlecht. Erst entdeckte man ddrstämmig, dann generell ausländisch als positiv, westdeutsch und überhaupt einheimisch als negativ. Heute ist weiblich in und männlich out. Eine wichtige neue Unterscheidung der Literaturproduzenten ist vegan oder nicht vegan. Und die allerneueste Volte heißt: weißhäutig ist schlecht, farbig ist gut. Vermutlich kommt demnächst auch noch die Literaturbeurteilung anhand der Kragenweite der Schreiber, – dabei habe ich jetzt schon son’ Hals.

 

Ich habe meine vor Jahren verlorene Rezension des Buches „Jiddisch“ von Leo Rosten wiedergefunden. Ein Anlass zum Feiern. Ist doch heute, da wir einen weltweiten Verdrängungswettbewerb der großen Sprachen erleben und fast wehrlos zusehen müssen, wie unsere deutsche Sprache von unseren Politikern, Wirtschaftsführern und Werbefuzzis leichtfertig aufgegeben wird zugunsten des Englischen, ein Aspekt dieser Jiddisch-Enzyklopädie besonders wertvoll: Der Hinweis darauf, dass die Sprache eines Volkes das Sublimat seiner gesamten Geschichte und Kultur ist. Dass also ein Volk seine Geschichte und Kultur aufgibt, wenn ihm der Niederschlag seiner besonderen Geschichte in den Eigenarten seiner Sprache nichts mehr bedeutet. Nur ein Beispiel für die Überlegenheit des Jiddischen, das wie jede Sprache seine Eigenarten hat: Es gibt im Jiddischen kein Wort für enttäuscht. Was viel über die Schöpfer und Benutzer dieser Sprache sagt. Diese Leute müssen so realistisch sein, sich niemals irgendwelchen Täuschungen hinzugeben, aus denen sie herausgerissen, also ent-täuscht werden können.

 

Am selben Tag, an dem die Zeitung mir vorjubelt, dass die Steuereinnahmen viel höher sein werden als geschätzt, bringt die Post mir das neue Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung, das der Bund der Steuerzahler jedes Jahr herausgibt. Auf 190 Seiten genau beschriebene Fälle von Verschwendung, vor allem auf den Gebieten Digitalisierung, E-Auto-Förderung, öffentliche Toilettenanlagen, Fahrradgaragen, Brücken und Stege sowie diverse andere Bauten. Und immer wieder unsinnige Verschönerungsarbeiten nur, um Riesensummen öffentlicher Fördergelder zu bekommen. Da zeigt sich das Schwarzbuch so spannend wie ein Krimi, dabei haben unsere Regierenden es immer noch nicht für nötig gefunden, Steuergeldverschwendung endlich genau so unter Strafe zu stellen wie Steuerhinterziehung. 

 

Erst das dritte Quartal des 20. Jahrhunderts hat die große Wende im Bett gebracht. Bis dahin war bei uns Jahrhunderte lang Zurückhaltung beim Sex selbstverständlich. Zur Vermeidung von Schwangerschaft oder Geschlechtskrankheiten blieben Frauen keusch und jungfräulich, und für den jungen Mann galt der Leitspruch: Reif werden, rein bleiben! Doch plötzlich gab es die öffentliche Aufklärung über Sex sowie die Pille und die Emanzipation der Frau. In den 50er bis 70er Jahren erlebten wir die sexuelle Revolution. Das war gleichzeitig der Beginn des neuen Massentourismus, und der war deshalb entsprechend lustvoll. Mit dokumentarischer Ausführlichkeit geschildert in dem Roman „Hohe Zeit“. Siehe https://www.netzine.de/library/walter-laufenberg/hohe-zeit-der-roman-eines-reiseleiters/

 

 

 

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