807. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Das erleben wir täglich: Politiker schmähen einander als Populisten, und die Presse übernimmt das als ein Schimpfwort, ohne dem Publikum zu verraten, dass in einer Demokratie alle Politiker Populisten sind  ̶   oder es zumindest sein sollten. Kommt das Wort Populist doch von dem lateinischen populus = Volk, meint also eigentlich Politiker, die sich um das Volk bemühen. Man hat bei der Übersetzung von Volk bloß das griechische Wort demos gegen das lateinische Wort populus ausgetauscht, um ein Schimpfwort daraus zu machen. Was nur scheinbar etwas Schlechteres ist. Strebt doch jeder Politiker nach größtmöglicher Popularität, gleich welcher Partei er angehört.

 

Kam mir jetzt wieder einer mit dem alten Spruch, Musik sei eine ganz besondere Sprache. Da habe ich ihn kurz abgetan mit dem Geständnis, dass ich diese Sprache so wenig verstehe wie die Sätze eines Tennisspiels. Das eine wie das andere sagt mir als Sprache nichts und macht mich nicht ein Quäntchen klüger.

 

Ein Schimpfwort, das en vogue ist, heißt Nationalist. Vor Gebrauch zu schütteln. Damit klärt sich das Gebräu, und man kann unterscheiden: Wenn es um Leute geht, die ihr Land für generell besser halten als alle anderen Länder, ist das Schimpfen berechtigt. Geht es dagegen um Leute, die ihr Land gegen eine Eroberung, gleich ob militärischer, wirtschaftlicher oder kultureller Art, verteidigen, sollte man sie nicht beschimpfen, sondern tatkräftig unterstützen. Hat man jedoch Leute vor sich, denen es bloß darum geht, in einer Vereinigung von Ländern, die sich immer enger zusammenschließen, das eigene Profil zu betonen, um nicht verloren zu gehen, genügt es, ihnen ein verständnisvolles Lächeln zu schenken.

 

In der Brockhaus-Enzyklopädie, die mit einer kurvenreichen Grafik über die vielen Kaltzeiten und Warmzeiten der Erde mit ihren gewaltigen Verschiebungen von Eismassen in den letzten zweieinhalb Millionen Jahren aufklärte, hieß es noch vor dreißig Jahren, dass wir im Moment in einer Zwischeneiszeit leben. „In der letzten Eiszeit waren über 28 % der Festlandsfläche, in der vorletzten Eiszeit über 32 % vergletschert, heute dagegen sind es nur etwa 10 %.“ Mit anderen Worten: Die Partei der Grünen hat es versäumt, die permanente Erderwärmung seit dem Ende der letzten Eiszeit (vor rund 20.000 Jahren) zu verhindern. Also muss ich die Sache selbst in die Hand nehmen: Ich esse ab sofort weniger Rindfleisch und keine aus Indien eingeflogenen Trauben mehr. Und Diesel kommt bei mir nicht mal aufs Hemd.

 

Die Westfälische Rundschau berichtete über ein Unternehmen, das ein Programm der Künstlichen Intelligenz entwickelt hat, mit dem ein Buchmanuskript automatisch darauf überprüft wird, ob es ein Bestseller wird oder nicht. Wunderbar, denn damit könnte man die Literaturagenturen überflüssig machen, die das Buch als Kulturgut ruinieren. Denn sie suchen fast nur nach Bestsellern, also möglichst seichter Massenware, weil sie an den Bucheinnahmen prozentual beteiligt sind. 

 

Die Unesco hat festgestellt, dass die Assistenzautomaten Cortana (von Google), Siri (von Apple) und Alexa (von Amazon) die Vorurteile gegenüber dem weiblichen Geschlecht fördern. Bemängelt wird die übertriebene Unterwürfigkeit der antwortenden Stimmen, die fast immer Frauenstimmen sind. Das wird als bedenklich bezeichnet, weil viele Menschen bereits vom kommenden Jahr an mehr Unterhaltungen mit diesen Sprachassistentinnen führen würden als mit echten Menschen. Dieser Zukunftsaspekt scheint mir noch bedenklicher als die monierte Unterwürfigkeit der Antwortstimmen, die man ohnehin bald durch selbstbewusst antwortende und neutral klingende Divers-Stimmen ersetzen wird. 

 

Der Duden hat 200.000 Stichwörter, das Grimmsche Wörterbuch sogar 350.000. Und Laufenbergs Läster-Lexikon bringt erst 1.075 Stichwörter. Aber wie die stechen!

 

Ein Ausflugsschiff ist bei einer Nachtfahrt in Budapest nach dem Zusammenstoß mit einem Kreuzfahrtschiff gesunken. Das erschreckt, wundert mich jedoch nicht, wenn ich hier am Rheinufer sehe, wie gerade wieder ein Schiffer, so ein für mich unsichtbarer Geisterreiter im lichtlosen Glaskasten, seinen Frachtkahn flussaufwärts schiebt. Da sitzt der Mann Stunde um Stunde im Dunkeln und starrt auf die Radarscheibe, um den zweihundert Meter langen Schiffsverbund zu steuern. Was er in mondloser Nacht reitet, das ist für mich ein dunkles Ungetüm mit atemlosem Schnauben, das bis auf die fünffache Bugleuchte, das rote Positionslicht und die drei Hecklampen sowie die schwach erhellten Fenster des Wohnraums unter ihm, in dem vermutlich seine Frau vor dem Fernseher sitzt, für mich unsichtbar bleibt. Ich kann dem Geisterreiter nur gute Fahrt wünschen – und dass er wach bleibt, Stunde für Stunde. Und auch die nächsten Stunden hellwach!

 

Die täglichen Nachrichten machen es deutlich: Die neue Saison des Sterbens im Mittelmeer ist eröffnet. Die See raubt ihnen die letzte Chance, den vielen Afrikanern, die der Misswirtschaft und dem Terror in ihrer Heimat zu entfliehen versuchen und zu Opfern verbrecherischer Schleuser werden. Was diese Tragödien beispielsweise für das mir besonders vertraute Malta bedeuten, für diese Insel mit den ältesten Rätseln der Menschheit, das habe ich in meinem Kulturthriller „Hypogäum“ dargestellt. Und das bleibt  – leider – weiter hochaktuell.

 

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