799. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Ich lese in der Zeitung, dass die ZDF-Fernsehsendung „Bares für Rares“ täglich mehr als zwei Millionen Zuschauer hat und die Mediengurus sich vergebens fragen, was an dem Trödelhandel so attraktiv ist, dass die Menschen Tag für Tag stundenlang das immer gleiche Geschehen betrachten. Das habe ich mir jetzt ein paar Mal angesehen, und ich wage die Diagnose: Es ist für die Leute faszinierend, ausnahmsweise einmal keine affig-perfekt agierenden Schauspieler vor sich zu haben, sondern Ihresgleichen. Menschen wie man selbst, die sich bemühen, vor einem freundlich-neugierigen Moderator, einem besserwissenden Experten bzw. einer Expertin und einer Riege von ausgefuchsten Händlern zu bestehen, und das auch mehr oder weniger gut schaffen. Dieses dreifache „Verhör“ auch noch als scheinbare Live-Sendung serviert, mit vielen hingeblätterten großen Geldscheinen, da sieht der Fernseher gern darüber hinweg, dass er selbst, ehrlich gesagt, von dem ganzen Krempel, der da verhökert wird, so gut wie nichts haben möchte.

Englischunterricht schon in der Grundschule, aber dafür weniger Deutschstunden? Darüber streitet man heftig in Nordrhein-Westfalen. Und die betroffenen Schulkinder reagieren darauf in den sozialen Medien mit Kommentaren wie: Ish verste that nit.

Neues von der Vermessung des Menschen: Die Bewohner der Philippinen schauen täglich durchschnittlich zehn Stunden und zwei Minuten auf Internet-Bildschirme, vor allem auf Handys. Damit sind sie Weltmeister. Ihre stärksten Konkurrenten sind die Thais und die Indonesier sowie Brasilianer und Kolumbianer. Dagegen kommt Deutschland mit nur vier Stunden und 37 Minuten täglicher Internetnutzung pro Person nur auf einen der hinteren Ränge. Noch weniger schafft Japan mit drei Stunden und 45 Minuten, und am wenigsten im Internet ist man in Nordkorea und Eritrea. – Schön, mal eine Rangfolge zu sehen, die einen nicht den Ehrgeiz entwickeln lässt, an die Spitze zu kommen.

Was ist nur los mit der Demokratie? Dass die Menschen in etlichen afrikanischen Staaten es nicht schaffen, ihre total korrupte Regierung loszuwerden, nehmen wir schon als Normalzustand hin. Aber nun zeigt sich auch in Venezuela und Italien, in Frankreich und England, dass demokratisch an die Macht gekommene Politiker dem Volk als Zecken in der Haut stecken, die sich nicht entfernen lassen. Weil zwar die Regelungen zum Einsetzen einer Regierung umfassend sind, es aber überall an kräftigeren Regelungen zum Verabschieden einer Regierung hapert. Es fehlt neben dem Wählen und Abwählen ein Automatismus, der die Regierenden absetzt, sobald soundso viele Demonstranten es soundso lange fordern oder eine bestimmte Anzahl toter Demonstranten erreicht ist oder oder oder …

Gedanken lesen können. Das ist eine so alte Wunschvorstellung wie fliegen können, aber viel schrecklicher. Noch können uns die Vögel belächeln, wenn wir behaupten, fliegen zu können. Hoffentlich können wir auch noch lange lächeln über die Experimente der Gehirnforscher an der Columbia University New York, die glauben, demnächst Gedanken lesen zu können, weil es ihnen gelungen ist, Gehirnströme in Gesprochenes umzuwandeln.

Die aktuelle Masche der Ministerialbürokratie, neuen Gesetzen einen positiv kommentierenden Namen zu geben, wie das Gute-Kita-Gesetz und das Starke-Familien-Gesetz, führt zum gewünschten Erfolg, zur veredelnden Doppeldeutigkeit.

Als ich meinen beiden älteren Brüdern im Scherz sagte, ich sei die dritte verbesserte Auflage, gab es Ärger. Dabei hatte ich ihnen ungewollt geschmeichelt, dass ich sie damit als erste und zweite verbesserte Auflage bezeichnet hatte. Ärgerlich wäre mein Scherz doch nur gewesen, wenn ich hinter dem Wort „dritte“ die kurze Pause zur Andeutung eines Kommas gemacht hätte.

Nein, ich schäme mich nicht, wenn ich mit meinem kleinen hölzernen und buntgeringelten Kreisel spiele. Das ist ja kein Zeitvertreib. Denn ich spiele überhaupt nicht, betrachte vielmehr bei dieser Pfriemelkunst mein Leben. Ich sehe mich so wild lossausen, dass ich in ungeahnter Farbenpracht erscheine, mich aufrichte und raumgreifend austobe, um schließlich mit schlaffem Torkeln und einem letzten verebbenden Gewackel, das wie ein Kopfschütteln aussieht, zur Ruhe zu kommen. Da kann ich den Kreisel nur ganz schnell wieder neu in Gang setzen, wenn ich nicht am fehlenden Sinn des Lebens verzweifeln will.

Achtung, liebe schreibende Kollegen von der Presse, dem Hörfunk und Fernsehen. Am Dienstag, dem 26. Februar, erscheint die nächste Ausgabe von „Das Laufenberg NETzine“, und das ist dann die 800. Ausgabe des am 3. Januar 1996 gestarteten ersten literarischen Blogs im deutschen Sprachraum (laut Wikipedia). Wer kann mir ein anderes literarisches Periodikum nennen, das so langlebig ist oder war? Doch statt eine Jubiläumsfeier vorzubereiten, stehe ich, weil das NETZINE nach wie vor ein nichtkommerzielles Ein-Mann-Unternehmen ist, ab sofort rund um die Uhr für Sie bereit, falls Sie einen O-Ton oder Fotos brauchen oder Informationen, die über das hinausgehen, was Wikipedia liefert unter den Stichwörtern NETZINE oder Blog oder unter meinem Namen. Und es bleibt dabei: Zitate aus dem NETZINE sind bei korrekter Quellenangabe erlaubt und gern gesehen.

Aus gutem Grund hier und heute die Empfehlung des einzigen Buches über die Frau von Joachim Ringelnatz und ihr höchst ungewöhnliches Leben an der Seite des um Anerkennung kämpfenden Spaßvogels. In jeder Buchhandlung und bei allen Versendern zu haben.

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