791. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Im Irak bietet sich jetzt die Gelegenheit für ein ideales Zusammenwirken Deutschlands mit den USA. Die Stromversorgung des Landes, die im Irakkrieg von der amerikanischen Armee zerstört wurde, soll jetzt von dem deutschen Siemens-Konzern wiederaufgebaut werden. Ein lukratives Geschäft. Falls es uns nicht doch noch von den Amerikanern weggeschnappt wird, die sich immerhin darauf berufen können, mehr für diesen Auftrag getan zu haben.

 

Bücher lesen? Wozu? – Wissenschaftler der Yale-Universität haben in einer Studie festgestellt, dass dreieinhalb Stunden Lesen pro Woche das Sterberisiko um 23 Prozent verringern. Das bringt mich ans Rechnen, sehe ich doch die Chance, schon mit einigen Stunden Lesen pro Tag unsterblich zu werden. Und ich Dummkopf bemühe mich bisher um dieses Traumergebnis mit einigen Stunden Schreiben pro Tag – was bekanntlich viel anstrengender ist.

 

Die Universität Hohenheim hat untersucht, wie verständlich sich die Parteien vor der Landtagswahl in Bayern ausgedrückt haben. Die Frage war: Was meinen die Grünen mit Haltungskennzeichnung, was sind für die CSU Smart- und Bürgerbusse, was meint die AfD mit Vergemeinschaftung, die Linke mit Selbstvertretungsorganisationen, die SPD mit energetischer Sanierung, die FDP mit Bildungskette? Was sind Smart Grids, Fast Lanes, Share Deals, Learning Management Systeme, Gender Mainstreaming und Gender Budgeting? Wie gut ein Text zu verstehen ist, wurde mit einem Textanalyseprogramm ermittelt. Das Ergebnis war ein streng wissenschaftlich ermittelter Zahlenwert beim Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Den wahlberechtigten Bürgern aber blieb nur ein Kopfschütteln.

 

In unserer geldgeilen Gesellschaft werden uralte Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf gestellt. Für Erspartes kriegt man keine Zinsen mehr, stattdessen werden einem Strafzinsen abgezogen. Wissenschaftler bekommen kein Honorar mehr, wenn sie ihre neuesten Erkenntnisse in den zuständigen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen; sie müssen im Gegenteil dafür zahlen, dass sie aufklären dürfen. Und immer mehr Buchverlage kommen darauf, die Autoren dafür zur Kasse zu bitten, dass die Verleger mit den Arbeitsergebnissen der Schreiber gute Geschäfte machen dürfen. Offensichtlich ist die Balance von Angebot und Nachfrage gestört: Die Banken haben zu viel Geld, die Wissenschaften zu viele Erkenntnisse, und zu viele Leute meinen Schriftsteller zu sein.

 

Überraschend: In der Rangfolge der Länder, in denen mein Netzine gelesen wird, ist China inzwischen weit nach vorne gerückt. Dabei kann ich mich in keiner der dort gesprochenen Sprachen ausdrücken. Aber in China versteht man offenbar, dass hinter Sprache, wenn es gut geht, Inhalte stecken, und man beschäftigt sich mit diesen Inhalten.

 

In grauer Vorzeit, als ich Reporter beim aktuell-regionalen Fernsehen des WDR in Köln war, stieß mein Chef sich an meiner heimischen, leicht kölsch eingefärbten Sprechweise, die den Fernsehkonsumenten nicht länger zugemutet werden könnte. Ich musste teuren Sprechunterricht nehmen, um auf dem Bildschirm bleiben zu können. Inzwischen sind die deutschen Dialekte so modisch geworden, dass in Köln sogar ein Lehrer-Welsch-Preis vergeben wird. Benannt nach dem 1935 in Köln verstorbenen Lehrer Heinrich Welsch, der sich so für die Kinder der kleinen Leute eingesetzt hat, dass er sogar mit einem Kölner Karnevalslied gefeiert wird: En d’r Kayjass Nummer Null / steit en steinahl Schull,/ un do hammer dren studiert. / Unser Lehrer, dä heess Welsch, / sproch e unverfälschtes Kölsch …

 

André Rieu hat sein ambulantes Orchester nach Johann Strauss benannt, weil der so viele Menschen glücklich gemacht hat. Wenn es danach gehen würde in der Welt, müsste der so bieneneifrige und offensichtlich unkaputtbare Kapellmeister Rieu längst zur Ehre der Altäre erhoben worden sein, als der heilige André.

 

Leser, die sich Enttäuschungen sparen wollen, sollten nicht auf Bestseller- und Buchpreis-Listen nach meinem Namen suchen. Dort bin ich nicht zu finden, denn ich gehöre zu der im Moment nicht so gefragten, weil nicht so hippen Randgruppe der Kulturschaffenden, die männlich und westdeutsch sind, keine Debütanten, nicht mehr jung, weder schwul noch vorbestraft sowie ohne Migrationshintergrund – und zu allem Überfluss auch noch nachdenklich.  

 

Für alle, die gern in „Laufenbergs Läster-Lexikon“ surfen, hier einmal die in den letzten Wochen neu eingegebenen Stichwörter: Du, Vorname, Digital, Vernaschen, Kreml, Opak, Zaun, Namenskult, Meditation, Gedanken, Jahrgänge, Durchhaltewille, Scheintote, Mikroplastik, Emoji, Esperanto, Sand, Lügenpresse, Deutschlandfahne, Missbrauch und Demut. Wer mir ein Stichwort nennt, das er noch vermisst, wird es mit ziemlicher Sicherheit bald darauf im LLL lesen können und seinen Namen in der Liste der Anreger finden unter www.netzine.de/laster-lexikon.

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