781. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Liebe Freunde des Denkvergnügens, was haltet Ihr hiervon:

 

Hessens größte Musikveranstaltung, das Darmstädter Schlossgartenfest mit mehr als 100 Bands, ist in Gewalt abgerutscht: 15 Polizisten verletzt, an die 100 Tatverdächtige festgenommen. Eigentlich wenige bei mehr als 400.000 Besuchern des Rummels. Die allermeisten Opfer der viertägigen dezibelgewaltigen Musikbeschallung haben also den dadurch erzeugten rauschhaften Gefühlszustand bei gleichzeitiger Abschaltung des Verstandes gut verkraftet. 

 

Im Wettstreit der Medien hat das Buch einen schweren Stand. Schon droht eine Aufhebung der bewährten Preisbindung, was uns amerikanische Verhältnisse bescheren würde. Und die Büchersendung zu ermäßigtem Preis gefällt der Deutschen Post schon lange nicht mehr. Deshalb werden Büchersendungen, sogar innerhalb ein und derselben Stadt, von der Post erst nach vier bis sieben Tagen ausgeliefert. Und ab dem 1. Juli ist für die Büchersendung mehr Porto zu bezahlen. Man sieht, wohin es führt, wenn Wirtschaftsführer keine Bücherbildung mehr aufzuweisen haben.

 

Den Londoner Straßenkünstlern kann man jetzt statt aus der Geldbörse per Kreditkarte etwas spenden, weil sie neuerdings alle mit einem Kartenlesegerät ausgestattet sind. Das kommt gut an, sagen sie, weil die Passanten mehr geben als sie an Bargeld weggeben würden. Klar, das ist ja der Sinn der Kreditkarte: Geld verschwenden. Vielleicht sind die Passanten aber auch nur so großzügig, weil sie es genießen, dass durch das umständliche Gefummel mit Mobilphone und Lesegerät die Lärmerzeugung eine Weile unterbrochen wird.

 

Was haben unsere Krankenkassen mit den Heizkörperablesefirmen gemeinsam? Die einen schwimmen wie die anderen im Geld und sind Milliarden Euro wert. Was nicht erstaunlich ist. Denn beide funktionieren nach demselben Prinzip, nämlich dem Abschluss von Verträgen zu Lasten anderer. Bei den einen ist es der Vertrag, den der Arzt bei der Behandlung mit dem Patienten schließt, zu Lasten der Krankenkasse. Dessen Unkontrollierbarkeit rechtfertigt angeblich immer höhere Krankenkassenbeiträge. Bei den anderen ist es der Vertrag, den die Ablesefirma bei der Installation des Messgeräts mit dem Eigentümer der Wohnung abschließt, zu Lasten des Mieters. Dessen Anschaffungs- und Ablesekosten sind ebenfalls nicht kontrollierbar. In beiden Fällen ist der wehrlose Bürger das Opfer. Deshalb sind im deutschen Recht Verträge zu Lasten Dritter generell verboten. Aber diese beiden groben Rechtsverstöße werden stillschweigend geduldet, weil sich kein Politiker an die heißen Eisen heranwagt. Sie haben ja auch schon genug zu tun mit den Parteifreunden, die an ihrem Stuhl sägen. 

 

Als das Fernsehen Mitte des vorigen Jahrhunderts in die deutschen Haushalte kam, war das Faszinierende daran, dass man erstmals etwas miterleben konnte, das an fernen Orten passierte. Die größten Erlebnisse waren die Krönung der britischen Königin Elizabeth II., eine Fußballweltmeisterschaft und das Grubenunglück von Lengede. Die erste grundsätzliche Verwandlung machte das Fernsehen durch, als es von der Live-Sendung umgestiegen ist auf Vorproduziertes, weil es damit technische Perfektion bieten kann. Was bei Silvestersendungen, in denen Schauspieler feiernde Bürger darstellten, sehr bald durchschaut und abgelehnt wurde. Die zweite grundsätzliche Verwandlung bietet das Fernsehen mit der Sendung Bares für Rares, die in bemüht perfekter Umsetzung bis ins Einzelne durchgeprobtes und vorproduziertes Geschehen mit Laiendarstellern noch Monate später als Live-Sendung erscheinen lässt.

 

Im Mai, als die Pappelsamen durch die Straße schwebten, wurden die weißen Flocken mit dem kleinen Kern platt getreten. Das tat mir weh, weil ich wusste: Das ist das Lieblingsfutter der Tauben. Aber es dauert jedes Jahr etliche Wochen, bis die erste Taube entdeckt, wie gut die Samenkerne schmecken. Dann stürzen sich alle Tauben auf die Leckerbissen. Irgendwie kommen sie mir sehr menschlich vor, die lästigen Tauben, die alles verschmutzen und deshalb nicht gefüttert werden sollen. Aber jetzt rausgehen und die späten Pappelsamen platt treten? Nein, das kann ich nicht.

 

DSGVO heißt: Datenschutzgrundverordnung. Mit der Vorsilbe Ver wird in der deutschen Sprache durchweg eine Abwertung, Zerstörung, Übertreibung des Begriffs gemeldet, vor dem sie steht. So zeigen es Wörter wie verlaufen, verregnet, verlogen, verheiratet oder Verbot, Verbiss, Verrat und ungezählte andere. Das neueste Beispiel für die Negation eines Begriffs ist die am 25. Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrund-Ver-Ordnung der EU, deren bemerkenswerten Effekt für die Ordnung jetzt der Internet-Hilfsdienst Heise zeigte: https://www.heise.de/security/meldung/l-f-Das-DSGVO-Absurditaetenkabinett-4057866.html?hg=1&hgi=13&hgf=false

 

Der Datenschutzgrundverordnung gehorchend habe ich die annähernd anderthalbtausend E-Mail-Adressen von Lesern, die alle zwei Wochen meinen Newsletter bekommen, gelöscht. Wer mein kostenloses Rundschreiben mit den neuesten Passiertes-Texten regelmäßig bekommen möchte, muss es deshalb neu bestellen. Auf der Titelseite des Netzine steht rechts am Rand: Newsletter bestellen. Also bitte.

 

Für die im Rhein-Neckar-Raum wohnenden Literaturinteressierten: Ich lese am Samstag, dem 30. Juni 2018, im Buchladen Lindenhof aus meinem Buch „Karibik ohne Kannibalen“. Ort: Mannheim-Lindenhof, Gontardplatz 7 (hinterm Hbf), Beginn 19:00 Uhr, Eintritt inkl. kleiner Stärkung 10,- Euro, eine Veranstaltung in exquisiter  Runde, für die eine Anmeldung unbedingt erforderlich ist: buero@buchladen-lindenhof.de oder Tel. 0152-53464409.

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