646. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

Ein Kuriosum, das in den Medien noch nicht bemerkt wurde: Seit Jahrhunderten gilt für die Jesuiten ihr Chef, der Generalobere, der in Rom residiert, als der schwarze Papst, der in Konkurrenz steht zu dem von den Kardinälen gewählten Papst. Schwarz, weil die Jesuiten kein Mönchshabit tragen, sondern einen schwarzen Anzug. Die Konkurrenz hatte 1773 sogar dazu geführt, dass der Papst den Jesuitenorden aufgehoben hat, was aber 1814 zurückgenommen wurde. Nun ist der gewählte neue Papst ein Jesuit. Der war bisher seinem Generaloberen gegenüber zum absoluten Gehorsam verpflichtet, ist jetzt aber als Papst dessen oberster Chef.

Überall gab es viel Mediengerede zum 250. Geburtstag von Jean Paul am 21. März 2013. Der Mann aus kleinen Verhältnissen, der eigentlich Johannes Paul Friedrich Richter hieß und sich seinen Künstlernamen nur aus Begeisterung für Jean-Jacques Rousseau gegeben hatte, war der erste deutschsprachige freie Schriftsteller und deshalb zu lebenslänglicher Armut verurteilt. So klein und eng seine Lebensverhältnisse waren, so groß war sein Sprachschatz, wie man mit Computerhilfe festgestellt hat. Nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat ein durchschnittlicher Akademiker von heute in seinem aktiven Wortschatz 15 000 Begriffe, der römische Dichter Ovid hatte 20 000, Shakespeare 40 000, Joyce 65 000, Goethe 90 000 und Jean Paul 110 000. Dass dieser Sprachriese Jean Paul nur noch sehr wenige Leser hat, das liegt weniger an ihm als an uns.

Nix April, April. Jetzt beginnt für alle Kleinaktionäre wieder die hohe Zeit der Hauptversammlungen. Sie sind eingeladen, zu kommen und sich die nichtssagenden Reden der Millionen kassierenden Konzernlenker anzuhören, dürfen sich sogar zu Wort melden und belächeln lassen, haben aber nichts zu entscheiden. Doch bekommen sie ein Mittagessen im Stehen spendiert und, wenn sie Glück haben, eine minimale Dividende, von der Väterchen Staat sich gleich ein Viertel nimmt.

Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft meldet, im vergangenen Jahr seien in Deutschland so wenige Menschen beim Baden ertrunken wie nie zuvor. Immerhin waren das noch 383 Tote. Damit bestätigt sich das alte Vorurteil gegenüber dem Baden, das sich im Volksmund hält mit negativen Ausdrücken wie baden gehen oder ins Wasser gehen. Doch wird nicht gemeldet, ob der Genuss von Erfrischungsgetränken statt des erfischenden Bades weniger Todesopfer verlangt. – Vielleicht weil sie noch gefährlicher sind?

Unser bundesrepublikanischer Länderfinanzausgleich erweist sich als gut gemeint statt sinnvoll, weil er Arm-Aber-Sexy fördert auf Kosten von Reich-Aber-Verschwitzt. Trotzdem ahmen unsere Politiker dieses falsche Modell jetzt auf europäischer Ebene nach.

Wie habe ich mich gefreut über die Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. März: Staatsschuld sinkt auf 2,07 Billionen Euro. Was für ein kleiner Betrag: 2,07. Gar nicht mehr weit bis 0,00. Der Begriff Billionen sagt einem eh nichts, wenn man sich gerade erst von der erstrebenswerten Million gelöst und damit abgefunden hat, dass man viele Milliarden besitzen muss, wenn man als ein Großer gelten will. Dass in dem Artikel mit der Hoffnung weckenden Überschrift aber nicht vom Sinken, sondern nur von Erhöhung der Schulden bei Bund, Ländern und Kommunen die Rede war, verstand ich nicht. Da hieß es, der Gesamtschuldenstand habe sich gegenüber Ende 2011 um 2,1 Prozent erhöht, beim Bund um 0,5 Prozent, bei den Kommunen um 2,8 Prozent und bei den Ländern sogar um 5 Prozent. – Offenbar kommen die Zeitungsschreiber selbst schon nicht mehr klar mit dem Zahlengewusel, mit dem sie uns tagtäglich zudröhnen.

Bei Facebook wird das englische share einfach übersetzt mit teilen, weil man sich nicht die Mühe macht, je nach dem Sinn der Aussage zu schreiben: mitteilen oder übermitteln oder weiterreichen. Eine Sprachbanauserei, die dazu führt, dass sogar Facebooker, die sich als Schriftsteller ausgeben, Bilder und Geschichten teilen und sich über geteilte Fotos freuen. Dabei kommen die Bilder und Texte vollständig an, also ungeteilt. Und wer so wenig Sprachgefühl hat, der kann es auch ertragen, sich auf einem Bild markiert zu finden, das keinerlei Markierung trägt.

Zufallserhebung: Wenn ich diese ganze Seite der Ostersamstagsausgabe meiner Zeitung mit den zwölf Todesanzeigen – unter der schonenden Überschrift Familienanzeigen – betrachte, sehe ich dreimal ein Kreuz, dreimal Goethe-Verse und je einmal Gottfried Benn, Rainer Maria Rilke und den Propheten Jesaja zitiert. Fünf von den zwölf Anzeigen kommen ganz ohne religiösen oder lyrischen Schnickschnack aus. Für die vielen Blumen und Vögel, die in skandinavischen Zeitungen die Todesanzeigen zieren, hat man bei uns offenbar noch kein Sensorium. So oder so entlarven die Todesanzeigen die starke staatliche Förderung der Religionsgemeinschaften und ihren übergroßen Einfluss auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens als korrekturbedürftig.

Wem angesichts der uferlosen Krimiproduktion der deutschen Verlage die Nerven flattern, der sollte sich daran erinnern, dass man aus Büchern auch anderes beziehen kann als bloß Aufregung. Von mir ist ein gutes Dutzend solcher Bücher mit Mehrwert im Handel. In jeder Buchhandlung und von allen Onlinehändlern schon am nächsten Tag zu erhalten.

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.