590. Ausgabe


Die sonst so lauten Demokratie-Beschwörer in den USA und der EU wissen auf das, was in Nordafrika und im Nahen Osten geschieht, nicht zu reagieren. Können sie doch nicht zugeben, dass sie die dortigen Diktaturen kommod fanden. Jedenfalls viel angenehmer als die von Islamisten beherrschten Demokratien, die man jetzt dort befürchten muss, oder als beispielsweise die Demokratie Israels, bei der man wegen des Vielparteiengemauschels nie weiß, woran man ist.

Eine Frau, die im öffentlichen Dienst mit Kundenkontakt tätig ist, darf bei uns keine Burka tragen. So Hessens Innenminister. Die Vollverschleierung sei dem Publikum nicht zuzumuten, heißt es apodiktisch. Man hätte eigentlich auf das seit 1985 geltende gesetzliche Vermummungsverbot hinweisen müssen. Denn noch mehr Vermummung als die Burka geht nicht. Deshalb ist selbstverständlich: Wenn der Staat nicht duldet, dass sich der Bürger vor ihm versteckt, braucht der Bürger auch nicht zu dulden, dass sich der Staat vor ihm versteckt.

Der Deutschlandfunk in Berlin hat mich jetzt als den ersten deutschen Blogger entdeckt. Mein zum Jahreswechsel 1995/96 gestarteter wöchentlicher Blog www.netzine.de mit literarisch-politisch-satirischem Inhalt hat die Radioleute überrascht. Doch war man enttäuscht, dass ich damals schon kein Teenager mehr war. Ein richtiger Blogger liegt halt immer quer. Warum nicht auch zu dem bei uns herrschenden albernen Jugendlichkeitswahn.

Zu komisch: In dem Läster-Lexikon hier im Netzine wird das Stichwort Rauchen, wie mir die Statistik zeigt, immer wieder in Ländern des Nahen Ostens angeklickt, in Ägypten, Türkei, Dubai und so weiter. Als ob die dort keine anderen Sorgen hätten.

Man ärgert sich in Deutschland darüber, dass die Ölinteressen der USA in Afghanistan unserer Regierung einen langen und verlustreichen Militäreinsatz fern der Heimat wert sind, während der Schutz der deutschen Handelsschifffahrt vor Piraten offenbar nur halbherzig wahrgenommen wird.

Im Handel zwischen Amerika, Russland und China gibt es keine ideologischen Schwierigkeiten, so wundern sich Journalisten. Für die meisten Zeitungsschreiber und Stammtischredner gibt es zwar weiterhin das Gegensatzpaar Kapitalismus und Sozialismus. Doch haben die Wirtschaftsbosse und Spitzenpolitiker längst verstanden: Dieser Gegensatz ist bloß ein Denkfehler. Russland und China können ihren Kommunismus hochhalten und trotzdem auf Augenhöhe mit den westlichen Staaten verhandeln. Denn das kapitalistische Prinzip – soviel Ertrag wie möglich bei sowenig Einsatz wie nötig – herrscht hier wie dort, hier als Privatkapitalismus und dort als Staatskapitalismus.

Als ich vor siebzehn Jahren in China gesehen habe, dass die Städte kribbelkrabbelvoll von Radfahrern waren, habe ich geschrieben, es sei unvorstellbar, dieses riesige Volk mit Autos zu versorgen, weil man die Blechkisten dann aufeinander stapeln müsste. Inzwischen kommen allein in Peking täglich 2000 weitere Autos auf die chronisch verstopften Straßen. Deshalb hat sich die Regierung allerlei drastische Beschränkungen einfallen lassen. So müssen Autohalter je nach Kennzeichen einen autofreien Tag in der Woche einhalten. Dagegen wehrt man sich recht effektvoll durch die Anschaffung eines Zweitwagens.

Immer neue Abkürzungen sollen wir uns merken. Eine Vermögensverwaltung nach der anderen preist sich mit Großbuchstaben in Großanzeigen der Tagespresse als die Beste an. Das so kurz nach der katastrophalen Finanzkrise, dass ich mir sagen muss: Hätte ich mein gutes Geld nicht in knusprige Brötchen und feine Markenmarmelade gesteckt, wäre ich jetzt auch einer der so heftig umworbenen Vermögenden. Oder sehe ich das falsch? Wird man das nicht durch Sparsamkeit? Dann stimmt vielleicht doch die alte Volksweisheit: Hinter jedem großen Vermögen steckt ein großes Verbrechen. Deshalb wohl firmieren diese Unternehmen nur mit Großbuchstaben, die nicht verraten, wer hinter ihnen steckt.

Wer sich vor 25 Jahren als Jogger über die Hunde ärgerte, die jeden Menschen, der lief, für einen Verbrecher hielten und anfielen, der sagt heute: Die Hunde sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Womit man sie unterschätzt. Wenigstens die Hunde wissen inzwischen: Verbrecher rennen nicht auf Waldwegen herum, die sitzen heute im Hochglanzbüro oder im Mercedes und tragen Designerkleidung mit Seidenkrawatte statt Stirnband und Laufschuhe.

Beim Blick aus dem Fenster sehe ich das parkende Auto eines Tierbestatters vor mir. Ein blitzeblanker Kastenwagen, natürlich in pietätvollem Schwarz, mit weißen Gardinchen und weißer Aufschrift der E-Mail-Adresse. Nur das Kreuz fehlt. Warum eigentlich? Auch daran würden wir uns doch gewöhnen.

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